„Zero Covid“ fordert eine Initiative. Ein strikter europaweiter „Superlockdown“, anlehnend an die Strategien in Australien und Neuseeland, soll die Pandemie beenden. Doch die Idee hinkt massiv, denn: Austria ist nicht Australia.
Als die Tirolerin Viktoria L. im April 2020 nach Australien zu ihrem Ehemann flog, ging sie 14 Tage in einem Hotel in Quarantäne. Denn seit Februar des Vorjahres gilt auf dem Kontinent ein Einreiseverbot, Ausnahmen werden nur in Sonderfällen erlaubt – etwa um zu seinem Ehemann zu gelangen. Die Kosten dafür – 2500 bis 3000 australische Dollar – sind meist selbst zu tragen.
Knapp ein Jahr später können in dem Land die Australian Open mit 30.000 Zuschauern stattfinden, es ist die erste Veranstaltung mit Menschenmassen seit Monaten. Möglich macht das die Situation vor Ort: Mit strengen Maßnahmen zu Beginn der Pandemie und Einreisebestimmungen hat das Land Corona fast eliminiert. Denn das Ziel war nicht, die Kurve flach zu halten - sondern sie zu beseitigen. Eine Strategie, die rigoros umgesetzt wird - Perth ging am Sonntag wegen nur einem Fall wieder in den Lockdown - und die auch in Europa immer mehr Zuspruch erhält.
Das Ziel darf nicht aus 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss null sein.
Initiative „Zero Covid"
„Das Ziel darf nicht aus 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss null sein“, fordert die Initiative „Zero Covid“. Rund 90.000 Menschen haben die Forderung unterschrieben. Die Idee: ein europaweiter Shutdown, bei dem die Menschen ihre Wohnungen kaum verlassen – und alle Grenzen geschlossen werden. Im zweiten Schritt sollen die Einschränkungen gelockert, lokale Ausbrüche sofort eingedämmt werden.
Einmal „Superlockdown“ und dann endlich Ruhe?
Also ein paar Wochen „Superlockdown“ und dafür ein Ende des Auf- und Zusperrens? Verlockend. Aber: „Im europäischen Kontext funktioniert das nicht“, sagt der Epidemiologe Gerald Gartlehner. Die EU könne sich so schon auf nichts einigen, sagt Gartlehner, die Grenzen gleichzeitig zu schließen sei unrealistisch – „auch wenn die Theorie schön klingt“. Austria ist eben nicht Australia.
„Die Bedingungen sind anders, der Zustand kann in Australien gut erhalten bleiben“, sagt Gartlehner. In Österreich sei das aufgrund der Pendelbewegungen unmöglich. Stichwort: ausländischen Pflegekräfte.
Die Bedingungen sind anders, der Zustand kann in Australien gut erhalten bleiben.
Epidemiologe Gerald Gartlehner
Die heimische Wirtschaft ist exportabhängig
Doch wäre ein konsequentes, aber kurzes Herunterfahren der Wirtschaft nicht sinnvoller als das Anziehen und Lockern über Monate? „Natürlich“, sagt Christoph Badelt, Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), „wäre das aus ökonomischer Sicht besser - aber die Theorie ist nicht zu Ende gedacht.“ Denn die Wirtschaft so stillzulegen, dass Güter des täglichen Bedarfs nicht mehr produziert oder importiert werden können, sei unrealistisch. Und: „Auch das würde massive Kosten verursachen“, sagt Badelt.
Die österreichische Wirtschaft ist exportabhängig, wir würden möglicherweise auch Märkte verlieren – und importierte Güter für den täglichen Bedarf nicht mehr bekommen.
WIFO-Chef Christoph Badelt
Würde auch die Industrie herunterfahren, wäre das nicht nur ein Produktionsverlust, auch Kurzarbeitskosten würden in die Höhe schießen. „Die österreichische Wirtschaft ist exportabhängig, wir würden möglicherweise auch Märkte verlieren – und importierte Güter für den täglichen Bedarf nicht mehr bekommen.“ Zudem „kam es in der Industrie bisher zu keinen relevanten Infektionen“, gibt Badelt zu Bedenken. „Die wirklich heiße Frage ist ja, was bringt all das an der Pandemiefront?“, so der Ökonom.
„Aus virologischer Sicht macht all das absolut Sinn“, sagt Virologin Dorothee von Laer dazu, „aber die Realität ist eine andere.“ Auch sie spricht die Pflegekräfte an – und die Gesellschaft. „Die ist geteilt“, sagt von Laer, „manche wollen noch strengere Maßnahmen, andere gar keine mehr.“ Unter diesen Umständen sei es unmöglich, „alles abzuschalten, was vermeidbar ist“.
Doch was bleibt an Alternativen? Mit dem „Lockdown im Halbschlaf“, wie es Gartlehner nennt, scheint es unmöglich, eine Sieben-Tages-Inzidenz von 50 zu erreichen. Am Montag wird wieder beraten. Auch von Laer nimmt teil – und wird sich „für einen differenzierten Stufenplan einsetzen, in dem viele Maßnahmen streng bleiben, manche noch strenger werden und andere lockerer“.
Neue Regeln für Handel, Gastro und Schulen
Anziehen könnte man bei den Skigebieten, sagt von Laer. Bei den Schulen bräuchte es „intelligentere Lösungen“, denn so wie es aktuell laufe, sei es weder aus „epidemiologischer noch aus bildungstechnischer Sicht gelungen“. Handel und Gastronomie könnte man mit Auflagen öffnen, Veranstaltungen weiter verbieten. Denn wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung nicht - etwa durch einen Volksentscheid - für einen „Superlockdown“ entscheidet, bleibe nur der „Halbschlaf-Lockdown“, bis die Impfung und das Frühjahr die Situation erleichtern. In diese Richtung wird es auch gehen.
Viktoria L. ist inzwischen wieder in ihrer Heimat Bali, weil sie dort arbeitet. Mit ihrem Mann, der in Australien sein Geld verdient, pendelt sie seit Jahren zwischen den Ländern hin und her. Durch die Einreisebestimmungen ist das aktuell nicht möglich – wann sie ihren Mann wiedersieht, weiß sie nicht. So wie den beiden geht es vielen Paaren, denn auch die Reisen im Land sind stark eingeschränkt. Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt.
Anna Haselwanter, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.