Im Gemeindeamt der Ski-Stadt legte man das alte Turmzimmer frei. Darin verborgen: die Originalbibliothek der Adels-Familie Coburg-Gotha.
Über einen edlen Freund aus Frankreich, Gustave de Vernouillet, dem ebenso „blaues Blut“ in den Adern floss, war er zum ersten Mal nach Schladming gekommen: Prinz Ludwig August von Sachsen-Coburg und Gotha. Eine Einladung zur Jagd hatte den Adeligen, der sich lange in Brasilien aufgehalten hatte, ins damalige Herzogtum Steiermark geführt. Der Prinz war von der Schönheit der Landschaft, dem satten Grün der Wiesen und dem Bergidyll so begeistert, dass er ab 1869 selbst Jagdgründe im oberen Ennstal erwarb. Die Hoheit war übrigens stolz darauf, den Weltrekord bei Abschüssen von Gämsen (über 3000 Tiere) zu halten.
Den schönsten Platz für das standesgemäße Jagdschloss fand Ludwig August im Herzen von Schladming, wo er 1884 eine dreistöckige komfortable Villa errichtete - zu einer Zeit, in der der Bergbau im Ort jedoch bereits im Niedergang war. Dafür kamen nun Erholung suchende Sommerfrischler aus den Kronländern des Habsburgerreiches, die Schladming sukzessive wieder zu wirtschaftlichem Aufschwung verhalfen. So auch die Familie Coburg-Gotha, die die warme Jahreszeit bei der Hochwild-Jagd im Wald und in der schroffen Bergwelt des Ennstals verbrachte.
Familie Coburg-Gotha verlegte Hauptwohnsitz
Im Ersten Weltkrieg wurden die Adeligen überhaupt in der obersteirischen Gemeinde sesshaft. „Die Familienmitglieder waren beliebt bei der Bevölkerung, nahmen regen Anteil am Leben und waren auch im karitativen Bereich tätig“, erklärt Historikerin Astrid Perner. 1940 verkauften die Coburger jedoch ihre herrschaftliche Residenz an die Gemeinde Schladming. Im ehemaligen Jagdschloss bezog die Exekutive Räumlichkeiten, zudem wurde das Rathaus eingerichtet.
2020 gab es dann eine kleine Sensation. Als eine seiner ersten „Amtshandlungen“ ließ Bürgermeister Hermann Trinker das vergessene alte Turmzimmer der Coburg-Villa freilegen. Jahrzehntelang hatten Möbel den im Dornröschenschlaf dahinschlummernden Raum an der Spitze des Rathauses verstellt. Dabei entdeckte Trinker gemeinsam mit den Mitarbeitern des Stadtmuseums Unglaubliches: eine vollkommen intakte, gemütliche Lesestube aus dem 19. Jahrhundert!
Kostbare Erstausgaben in der alten Lesestube
„Unter den vielen Hundert Büchern befinden sich seltene Erstausgaben und Journale, exotische Reiseliteratur, Werke über die Marine und Frauenliteratur“, erklärt Astrid Perner. Unter dem wertvollen Bücherschatz befinden sich auch Bände in französischer, portugiesischer und englischer Sprache. Kein Wunder: August Leopold, Sohn des Schloss-Erbauers, liebte es zu reisen, vor allem mit dem Schiff. Der Prinz war unter anderem bei der k. u. k-Marine im Einsatz. „Man kann sich gut vorstellen, wie die Familie damals bei einem Tässchen Tee im Turmzimmer gesessen ist und gelesen hat. Das Licht war ideal und unter den Büchern war thematisch für alle etwas dabei“, schmunzelt Perner.
„Der einzigartige Raum im Rathaus soll nun für kleinere Veranstaltungen genutzt werden, sogar für Hochzeiten. Eine Trauung hatten wir sogar schon, eine Premiere“, freut sich der Schladminger Stadtchef Hermann Trinker.
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