Fidler im Gespräch

„Bin für eine Impfpflicht in gewissen Settings“

Vorarlberg
12.04.2021 07:30

Wer im Spital oder Erziehungswesen arbeitet und sich nicht impfen lassen will, sollte sich einen anderen Job suchen, meint Armin Fidler. Der Gesundheitsökonom fordert zudem die Rückgabe von Freiheiten für Geimpfte.

Krone: Herr Fidler, die Infektionszahlen steigen wieder - was ist der Grund dafür?
Fidler: Das kam jetzt nicht sehr überraschend und war auch einkalkuliert. Grund dafür ist schlicht und einfach die Dominanz der britischen Mutation. Vor drei Wochen waren 80 Prozent der positiven PCR-Tests auf den Urtyp und nur 20 Prozent auf Varianten zurückzuführen. Inzwischen liegt der Anteil der britischen Varianten bei 90 Prozent - und das Infektionsrisiko ist dort um bis zu 40 Prozent höher.

Wie sehen Ihre Prognosen für die kommenden Wochen aus?
Ich gehe davon aus, dass die Infektionszahlen weiter moderat steigen und sich damit auch die Zahl der intensivpflichtigen Patienten etwas erhöhen wird. Es dauert zwischen sieben und 14 Tagen, bis sich steigende Fallzahlen auf die Krankenhausbelegung auswirken. Ich hoffe sehr, dass wir uns nicht mehr in Dimensionen wie im Herbst bewegen werden, als damals knapp 50 Menschen auf intensivmedizinische Maßnahmen angewiesen waren.

Sind Krankheitsverläufe im Zusammenhang mit der britischen Variante B.1.1.7 schwerer?
Dazu habe ich keine Daten aus Vorarlberg - aber die internationale Evidenz weist eher darauf hin. Ich kann nur sagen, dass derzeit - ähnlich wie im Herbst - rund 20 Prozent der Hospitalisierten intensivpflichtig sind. Diese Zahl ist seit Beginn der Pandemie in etwa gleichgeblieben.

Der Mediziner und Gesundheitsökonom Armin Fidler hätte sich beim Impfen das Erstellen eines Risikoprofils gewünscht. Das hätte mehr gesunde Lebensjahre gerettet. (Bild: Mathis Fotografie)
Der Mediziner und Gesundheitsökonom Armin Fidler hätte sich beim Impfen das Erstellen eines Risikoprofils gewünscht. Das hätte mehr gesunde Lebensjahre gerettet.

Welche Empfehlungen haben Sie vor dem Anrollen einer dritten Welle?
Die Tools sind dieselben: Impfen, Testen, Infektionsketten schnell durchbrechen. Wenn etwas passiert, muss sofort mit aller Kraft draufgehauen werden. Im Leiblachtal wurde vom Land und auf Gemeindeebene sehr schnell reagiert. Nicht so wie in Tirol, wo über Tage und Wochen diskutiert wurde. Wenn ein Cluster auftritt, muss schnell und aggressiv gehandelt werden.

Mit den Testzahlen dürften Sie zufrieden sein?
Ja, hier hat Vorarlberg innovative Konzepte entwickelt. Wir sind Testweltmeister. Mit den Eintrittstests für Friseurbesuch, Gastronomie oder kulturelle Veranstaltungen wurden zusätzliche Anreize geschaffen. So lassen sich auch jene Menschen testen, die einem sonst durch die Lappen gehen. Positiv ist, dass viele Betriebe ihre Mitarbeiter zum Testen anhalten.

Und doch gibt es Test- und Maskenverweigerer. Das Cluster im Leiblachtal dürfte dem Vernehmen nach eine Kindergärtnerin verursacht haben, die ohne Maske in Wien demonstriert hat.
Es gibt einfach einen Klüngel von Menschen, die entgegen jeder Ratio agieren. Dabei geht es nicht um Glaubensfragen, sondern um klare wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine Blinddarmentzündung würde ja auch jeder normale Mensch von einem kompetenten Team im Krankenhaus behandeln lassen.

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Es gibt einfach einen Klüngel von Menschen, die entgegen jeder Ratio agieren. Dabei geht es nicht um Glaubensfragen, sondern um klare wissenschaftliche Erkenntnisse.

Fidler über Test- und Maskenverweigerer

Waren Sie schon Anfeindungen ausgesetzt?
Das ist vorgekommen, aber nicht sehr häufig. Ich habe ein paar Mails mit Beleidigungen erhalten.

Wie kritisch sehen Sie Urlaubsreisen?
Das hängt von den Standards ab. Ich war selbst ein paar Tage im Urlaub. Alle Fluggäste waren PCR-getestet. Das ist mittlerweile der Goldstandard im Tourismus. Die Hygienevorschriften im Hotel waren streng. Das ist dann schon etwas anderes als ein unkontrollierter Familienurlaub in der Türkei.

Wie hat die Pandemie Ihr Leben verändert?
Im Wesentlichen hat sich nicht viel geändert. Ich habe eine 50-prozentige akademische Verpflichtung. Vor der Pandemie hatte ich Konsultationsaufträge zum Beispiel für die Vereinten Nationen. Diese sind durch die Reiserestriktionen etwas weniger geworden, sodass ich genügend Zeit für die neuen Aufgaben als Mitglied der Corona-Kommissionen auf Landes- und Bundesebene habe.

Was hätte die Politik besser machen können? Hätten Sie eine andere Impfreihenfolge gewählt?
Ich hätte mir in der Retrospektive das Erstellen eines Risikoprofils für jeden Bürger gewünscht. Das ist nicht passiert, und so wurde der 97-jährige multimorbide Demenzpatient mit einer Lebenserwartung von einem halben Jahr dem 55-jährigen Dialyse-Patient vorgezogen - und damit nicht gesunde Lebensjahre für die Bevölkerung generiert. Der Aufwand, die Daten einzuholen, wäre gering gewesen, da bei den Krankenkassen Vorerkrankungen wie Niereninsuffizienz oder Diabetes zu 99 Prozent bekannt sind. Den kumulativen Risiken aus Vorerkrankungen und Lebensalter hätte man einen Wert zwischen 1 und 100 zuordnen können und diesen Werten entsprechend hätte dann eine Prioritätsliste abgearbeitet werden können. Das hätte mehr gesunde Lebensjahre gerettet.

Was muss jetzt beim Impfen passieren?
Wir müssen impfen, was das Zeug hält und auch AstraZeneca bis zur letzten Dosis nutzen. Impfen rettet Menschenleben. Dann wird es eine Zeit geben, in der sich die Situation umkehrt und es mehr Impfstoff als Impfwillige geben wird. Ich hoffe, dass ich nicht Recht haben werde, aber wenn sich laut Umfragen nur knapp über 50 Prozent der Bevölkerung impfen lassen, ist das zu wenig. Um eine Herdenimmunität zu erreichen, müssten seit dem Auftreten der B.1.1.7-Variante etwa 80 Prozent geimpft werden.

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Wir müssen impfen, was das Zeug hält und auch AstraZeneca bis zur letzten Dosis nutzen. Impfen rettet Menschenleben.

Armin Fidler

Und wie kann man die breite Bevölkerung erreichen?
Es wird den grünen Pass geben und gewisse Anreizsysteme, also ein Wiedererlangen der Grundrechte für Geimpfte. Etwa, dass sie keine Maske tragen oder zum Testen gehen müssen.

Also eine Impfpflicht durch die Hintertür?
Das kann man so nennen. Ich bin durchaus für eine Impfpflicht in gewissen Settings. Jeder, der im Spital, in der Pflege oder im Erziehungswesen arbeitet, sollte geimpft sein. Wer das nicht will, und damit seine Schützlinge exponiert, sollte sich besser einen anderen Job suchen.

Und die Privilegien gelten erst dann, wenn alle Impfwilligen an der Reihe waren?
Wieso Privilegien? Wir bekommen keine neuen Privilegien, sondern jene Grundrechte retour, die uns weggenommen werden mussten. Es macht demnach keinen Sinn zu warten, bis der Letzte in Österreich geimpft ist. Es mag sein, dass es ein halbes Jahr lang eine gewisse „Ungerechtigkeit“ gibt, aber es bekommt ja niemand etwas Zusätzliches, das ihm nicht zusteht.

Und Sie glauben, dass sich das diejenigen, die seit Mitte Jänner auf einen Termin warten, gefallen lassen?
Niemand ist begeistert von der Pandemie. Aber ein weiterer Verzicht hilft niemanden - erst recht nicht der Wirtschaft. Im Gegenteil: Wenn wieder mehr Menschen in den Handel, in die Gasthäuser und zu Kulturveranstaltungen gehen, hilft das allen in der Gesellschaft weiter.

Zur Person: 
Armin Fidler wurde am 19. November 1958 in Innsbruck geboren. Nach der Matura am BG Bregenz studierte er Medizin in Innsbruck und Hamburg. In den USA graduierte er in den Masterprogrammen „Public Health“ sowie „Health Policy and Management“. Fidler war u. a. für die WHO und die Weltbank tätig. Seit 2015 unterrichtet er am Management Center Innsbruck im Studienzweig „European Master in Health Economics and Management“. Seit Pandemiebeginn ist Fidler Mitglied der Coronakommission auf Landes- und Bundesebene.

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