Vor 40 Jahren erschütterte ein Polit-Erdbeben die Republik: Eine Waffenschmiede aus Liezen verkaufte illegal Kanonen in das Ausland. Die Verstrickungen reichten bis in höchste Kreise.
Eine Kanone, Hunderte Schilling-Millionen und rätselhafte Todesfälle: Das sind die pikanten Zutaten eines unglaublichen Jahrhundert-Skandals, der auch nach vier Jahrzehnten viele Fragen offen lässt. Die Noricum-Affäre erschütterte nicht nur das Vertrauen in unser politisches System, sondern beschleunigte rasant auch den Niedergang der verstaatlichten Industrie.
Dreh- und Angelpunkt war das obersteirische Liezen mit dem örtlichen Stahlwerk Noricum, seit dem Jahr 1939 der wichtigste Arbeitgeber in einer sonst strukturschwachen Region. Zu Beginn der 1980er-Jahre geriet der Staatsbetrieb allerdings in eine existenzielle Krise: Aufträge für dort hergestellte Bleche und Sensen blieben aus, massive Job-Verluste drohten. Die im Bund regierende SPÖ, damals noch „Schutzpartei“ Nummer eins der „Hackler“, suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Und fand ihn in der Produktion einer tödlichen Kanone.
Wohl mit Wissen der Regierungsspitze erwarb der Voest-Konzern die Lizenz zum Bau der berühmt-berüchtigten GHN-45 und ließ die Kanone mit einer Reichweite von bis zu 45 Kilometern bei seiner Tochterfirma Noricum produzieren. 1600 Arbeiter setzten die Feldhaubitze in Liezen zusammen, anschließend bot man sie diskret auf dem internationalen Markt an.
Gesetzesverstoß mit Wissen der Regierung
Und zwar auch illegal: Hunderte Stück des Artilleriegeschützes wurden ab 1981 über das getarnte Empfängerland Jordanien in die kriegsführenden Staaten Iran und Irak verkauft. Ein klarer Gesetzesverstoß und staatsvertragswidrig - doch den verantwortlichen Ministern und Voest-Managern war das egal. Das Werk Liezen florierte wieder, Massenkündigungen konnten abgewendet werden.
Dem üblen (Kriegs-)Spiel setzten erst mutige Journalisten rund um den mittlerweile verstorbenen Alfred Worm ein Ende - sie deckten die verbotenen Waffengeschäfte auf und brachten damit die darin verwickelten Politiker Fred Sinowatz, Leopold Gratz und Karl Blecha vor Gericht. Verurteilt wurde aber nur Blecha - wegen Urkundenfälschung.
Die Folgen der Affäre, unter die erst Mitte der 1990er mit dem Noricum-Prozess ein vorläufiger Schlussstrich gezogen wurde, waren gravierend; vor allem für die Stadt Liezen, die der Skandal letztlich Tausende Arbeitsplätze kostete.
Gegossen wurde die GHN-45 auf jenen Flächen, auf denen die Maschinenfabrik Liezen und Gießerei (kurz MFL) mittlerweile zum international erfolgreichen Unternehmen mit 800 Mitarbeitern aufgestiegen ist. Lediglich die geografische Lage des Werks erinnert noch an das Vorläuferunternehmen Noricum: Handelnde Personen und Unternehmensgegenstand (die MFL reüssiert unter anderem mit Bahnprodukten) sind seit der Übernahme durch den heutigen Eigentümer vor fast drei Jahrzehnten graue Geschichte.
„Die Vergangenheit nicht verdrängen“
Für Geschäftsführer Herbert Decker dennoch kein Grund, die Historie zu ignorieren: „Auch wenn jede Zeit ihre eigenen Herausforderungen und Charakteristika aufweist, müssen wir die Vergangenheit des Werks nicht verdrängen. Allerdings braucht dieses Kapitel nicht viel mehr Einfluss auf unser heutiges Schaffen haben, als viele andere Erkenntnisse und Lehren aus der Wirtschaftsgeschichte unseres Landes. Unser ganzer Fokus gilt daher der Gegenwart.“
Seine Ziele: weitere Standortabsicherung (rund 65 Millionen Euro sind seit der Übernahme 1994 in den Wirtschaftsstandort Liezen geflossen) und Expansion: „Dazu werden wir in den kommenden Tagen ein breites Maßnahmenpaket präsentieren, das langfristig zu neuen Arbeitsplätzen und noch mehr Wertschöpfung führen wird“, so Decker. Möglich machen diese Maßnahmen eine Stabilisierung der Märkte nach Corona.
Seit Ausbruch der Pandemie konzentrieren sich die Steirer noch stärker auf Entwicklung, Fertigung und Reparatur von Schienenfahrzeugen: Firmenstruktur, Marktauftritt und Fertigungstechnologien werden ganz auf den Bahnsektor fokussiert. Mehr als 75 Prozent der Erzeugnisse wandern in den Weltmarkt.
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