Kein Politiker hierzulande ist so umstritten wie Herbert Kickl - und kaum einer ist so schwer zu fassen wie der zwischen Entgleisungen und lateinischen Feinsinnigkeiten, zwischen links und ganz rechts wandelnde Blaue. Wer ist der Mann, der nun die Freiheitlichen übernehmen dürfte? Und was will er eigentlich?
Es gibt nicht viele Politiker, die in den letzten zehn Jahren so oft porträtiert worden sind wie Kickl. Und die Zuschreibungen waren stets dieselben: Kickl, das ist der „Strippenzieher“ der Freiheitlichen, der „Schattenmann“, „Einflüsterer“ und „Stratege“. Schon Jörg Haider legte er tiefe Wuchteln à la „Wie kann jemand, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben?“ in Richtung des Chefs der Israelitischen Kultusgemeinde auf, Heinz-Christian Strache dirigierte er als Ideengeber im Hintergrund und Wahlkampfchef in lichte Höhen.
Doch das war Kickls Welt von gestern: Denn er, der zwei Jahrzehnte lang blauer Regisseur war, wird nun wohl Hauptdarsteller seines eigenen Drehbuchs. Diese Entwicklung begann vor drei Jahren: Als Kickl Innenminister wurde, erzählt ein Wegbegleiter, habe man ihm angemerkt, dass er das Rampenlicht zusehends suchte. Das verlässliche Schlusslicht der Vertrauens-Indizes genoss plötzlich die öffentlichen Auftritte.
Und die wurden seither immer zahlreicher: Einige Jahre und eine historische Ministerentlassung später trat Kickl zuletzt als Einpeitscher der teils von Rechtsextremen bevölkerten Corona-Demos auf, zog demonstrativ maskenlos im leichten Verschwörungs-Slang über „gekaufte Medien“ oder Israel her - und avancierte, ob er nun FPÖ-Chef wird oder nicht, längst zur Speerspitze der Achse gegen Sebastian Kurz und dessen Regierung.
Kickl wollte lieber mit der SPÖ koalieren
Neu ist seine Türkis-Aversion übrigens keineswegs: Kickl, der einer Kärntner Arbeiterfamilie entstammt, wollte eigentlich immer lieber mit der SPÖ koalieren, den Türkisen traute er nie so recht über den Weg. Die illegale BVT-Razzia mit ÖVP-Seilschaften als Angriffsziel nahm in seinem Umfeld ihren Ausgang. Ein Blauer behauptet heute, dass Kickl einst - trotz Koalition mit Türkis - davon redete, ÖVP-Netzwerke zu „vernichten“.
Kickl hat allerdings nicht nur dieses eine Gesicht: Im Internet inszeniert er sich als stets gut gelaunter Extremsportler, bei einer Rede im Nationalrat indes zitierte er unlängst auf Latein eine Ovid-Passage, auch Hegel hat der einstige Philosophie-Student auswendig im Repertoire. In der FPÖ gilt Kickl stets als „Intellektueller“, Straches Kneipentouren ließ der Polit-Solist meist aus - und gehörte in der FPÖ all die Jahre weder zu Haiders „Buberlpartie“ noch zur Burschenschafter-Achse.
Was will Kickl?
Allein: Was will Kickl eigentlich? Maxime seiner Politik ist, das sagte er selbst immer wieder, der Kampf gegen die Toleranz der 68er-Bewegung. Gesellschaftspolitisch ist der Migrations-Hardliner also konservativ - „und sozialpolitisch ein echter Linker“, so ein Kenner. Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass Kickl die FPÖ aus der Versenkung holt. 2005 war er in Pläne für die BZÖ-Abspaltung eingeweiht, Haider & Co. rechneten fest mit ihm - doch Kickl blieb Blauer und flickte die Reste der FPÖ zusammen. Auch damals schon aggressiv und von weit rechts kommend.
Letzter Streich brachte Fass zum Überlaufen
Bis mit Norbert Hofer der Nachfolger von Strache hinschmiss, war es übrigens ein langer Weg. Lange Zeit hielt Hofer im Konflikt mit seinem Klubchef Kickl die Füße still. Nach zahlreichen inhaltlichen Differenzen zwischen den beiden und einigen Unfreundlichkeiten, die Kickl Hofer zuletzt ausgerichtet hatte, brachte Kickls jüngster Streich offenbar das Fass zum Überlaufen.
Die Geschichte rund um Norbert Hofers Rücktritt beginnt bereits mit dessen Kür zum Obmann im September 2019. Schon damals gab es Gerüchte, dass auch sein Klubchef Kickl Interesse am Chefsessel habe. Immer offensichtlicher wurde der Graben zwischen den beiden allerdings erst in der Corona-Krise 2020. Während Kickl früh gegen den „Corona-Wahnsinn“ der Regierung polterte, gab sich Hofer zurückhaltender.
Streit um Maskenpflicht
Die Obmannschaft selbst hatte Kickl im Februar 2021 erstmals als „reizvolle Überlegung“ bezeichnet. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte der Konflikt dann im April im Streit um die Maskenpflicht im Parlament.
Spitzenkandidat-Debatte
Dass Kickl schließlich in den letzten Wochen, in denen Hofer auf Reha war, wieder an dessen Sessel sägte, brachte das Fass für Hofer offenbar zum Überlaufen. Mitte Mai erklärte Kickl nämlich, er würde als Spitzenkandidat bei einer Nationalratswahl zur Verfügung stehen. Nur kurze Zeit später richtete er Hofer zudem aus, dass dieser bei einer Anklage im Zuge der Asfinag-Ermittlungen als Dritter Nationalratspräsident zurücktreten müsse. Nach einem verbalen Showdown schmiss Hofer diese Woche hin.
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