Christchurch-Drama
„They Are Us“-Filmprojekt regt Neuseeland auf
Darf sich Hollywood eines nationalen Unglücks, dessen Narben noch lange nicht verheilt sein werden, bemächtigen? Diese Frage wird gerade in Neuseeland aufgeworfen, soll doch das Christchurch-Drama vom März 2018 in ein Polit-Drama verwandelt werden. Im Pazifikstaat herrscht Aufruhr - viele stemmen sich gegen das Filmprojekt. Vor allem jene, deren Geschichte erzählt werden soll, sind erzürnt. Man wolle „keine Requisite in einem Hollywoodfilm“ sein, auch das Timing sei schlecht.
Hollywood hat sich noch nie gescheut, menschliche Dramen zeitnah als Blockbuster in die Kinos zu bringen. Das sorgt bei denen, deren Geschichte erzählt wird, nicht immer für Freudensprünge. Dass sich jedoch weite Teile der Bevölkerung gegen ein Filmprojekt stemmen, kommt selten vor - in Neuseeland aber ist das so.
Bei dem minutiös geplanten Massaker eines Rechtsextremisten aus Australien, das der Täter per Helmkamera ins Internet übertrug, waren 51 Menschen gestorben und 50 weitere teils lebensgefährlich verletzt worden. Das Verbrechen (siehe Video oben) gilt als das verheerendste in der jüngeren Geschichte Neuseelands. Viele Überlebende leiden bis heute unter den Folgen, sind arbeitsunfähig oder müssen mit starken Schmerzen leben.
Reaktion auf die Anschläge im Mittelpunkt
„They Are Us“ („Sie sind wir“) soll nun der Film dazu heißen. Der neuseeländische Drehbuchautor und Regisseur Andrew Niccol („Lord of War“, „Anon“) will darin nach eigenen Angaben die Reaktion auf die Anschläge in den Mittelpunkt stellen. „Es geht nicht so sehr um das Attentat an sich, sondern darum, wie ein beispielloser Akt von Hass mit einer Welle von Liebe und Unterstützung überwunden wurde.“
Die australische Schauspielerin Rose Byrne („Brautalarm“) soll die Hauptrolle spielen und Neuseelands beliebte Regierungschefin Jacinda Ardern verkörpern. Ardern hatte sich 2018 als Krisenmanagerin hervorgetan und nach dem Blutbad mit dem Leitspruch „They Are Us“ Zusammenhalt signalisiert. Ardern selbst ließ verlauten, sie sei nicht in das Projekt involviert und auch nicht darüber informiert worden. Zu „Radio New Zealand“ sagte sie, es gebe viele Geschichten, die von jenem 15. März erzählt werden müssten - „aber meine gehört nicht dazu“.
„Es tut weh, Requisiten in einem Hollywood-Film zu sein“
Schon Stunden nachdem das Filmportal „Hollywood Reporter“ über die Pläne berichtete, hagelte es in Neuseelands Medien empörte Kommentare. „Sie sind nicht wir und es tut weh, Requisiten in einem Hollywoodfilm zu sein“, betitelte der preisgekrönte Poet und Journalist Mohamed Hassan eine Art offenen Brief im „New Zealand Herald“. Er kritisierte vor allem, dass nicht das „verheerende Trauma“ der Muslime im Zentrum stehe: „Unsere Stimmen sind irrelevant. Unsere Körper werden für ein Set gebraucht, das entworfen wurde, um die Fabel eines anderen zu erzählen.“
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„Wir hinterfragen das Timing“
Auch der muslimische Verband der Region Canterbury, in der Christchurch liegt, ist skeptisch: „Obwohl die Anerkennung unserer Ministerpräsidentin für ihre Reaktion auf die Angriffe wohlverdient ist, hinterfragen wir das Timing und ob ein Film gerade jetzt angemessen ist“, so der Sprecher Abdigani Ali. Die Geschichte müsse irgendwann erzählt werden, „aber wir möchten sicherstellen, dass dies in angemessener, authentischer und sensibler Weise geschieht“.
Keinen Profit aus Tragödie schlagen
Eine am Projekt Beteiligte zog bereits Konsequenzen: Die Produzentin Philippa Campbell stieg jetzt kurzerhand aus dem umstrittenen Projekt aus. Eine Petition gegen den Film erhielt bereits über 65.000 Unterschriften. Es sei nicht angebracht, dass Autor und Regisseur Niccol, der weder Rassismus noch Islamophobie erlebt habe, Profit aus dieser Geschichte schlage.
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