Afghanen in Graz:

„In Afghanistan warten nur Folter und der Tod“

Steiermark
18.08.2021 06:00

Fast 5000 Afghaninnen und Afghanen leben derzeit in der Steiermark. Viele von ihnen sind wegen der Taliban nach Europa geflüchtet. Sie fürchten um ihre Freunde, Verwandten und die Zukunft des Landes.

Es sind keine leichten Stunden für Afghanen in aller Welt: Aus der Zeitung, im Fernsehen und im Internet müssen sie mitverfolgen, wie die radikalislamistischen Taliban ihre Heimat nach 20 Jahren zurückerobern. „Eine dunkle Zeit hat begonnen. Die Taliban regieren mit Krieg und Folter. Meine Freunde, Verwandten und ehemaligen Kollegen sind in Gefahr“, sagt Sulaiman Shah Alokozay. 2014 floh er vor den Taliban nach Österreich, nun arbeitet er beim Integrations-Verein Zebra in Graz.

„Ich habe in Kabul gelebt und bei der Staatsanwaltschaft gearbeitet. Die Angriffe auf Leute, die bei der Regierung arbeiten, sind immer mehr geworden. Die Taliban akzeptieren es nicht, wenn man mit der NATO oder den USA zusammenarbeitet.“

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Sie sagen vielleicht, dass sie niemandem wehtun, aber das stimmt nicht. Sie wollen Rache.

Sulaiman Shah Alokozay

Dass die radikalen Islamisten nun immer wieder betonen, sich geändert zu haben, will Shah Alokozay nicht gelten lassen. „Sie sagen vielleicht, dass sie niemandem wehtun, aber das stimmt nicht. Sie wollen Rache. Sie haben Leute umgebracht - Journalisten, Richterinnen, Aktivisten “

Sulaiman Shah Alokozay arbeitet beim Verein Zebra in Graz (Bild: Sepp Pail)
Sulaiman Shah Alokozay arbeitet beim Verein Zebra in Graz

„Abschiebung ist ein Todesurteil“
Soll Österreich weiter nach Afghanistan abschieben? Shah Alokozays Meinung ist klar: „Wenn man von Europa abgeschoben wird, ist das ein Todesurteil. Egal, aus welchem Grund. Die Taliban sagen, dass die, die in Europa waren, sich zu sehr angepasst haben.“

Er richtet daher einen Appell an die Politik: „Als ein Afghane, der schon viele Leute verloren hat, ist meine Bitte: keine Abschiebungen mehr! In Afghanistan warten nur Folter oder Tod!“ Trotzdem hält Sulaiman Shah Alokozay an einer besseren Vision für sein Herkunftsland fest: „Wir wollen Freiheit, Sicherheit, Rechte für Frauen und in die Arbeit gehen, ohne Angst zu haben. Das geht mit den Taliban nicht.“

„Geh nach Hause oder du wirst erschossen!“
Szenenwechsel in die erste persischsprachige Bibliothek der Steiermark im Grazer Bezirk Lend. Je drei Männer und Frauen aus Afghanistan schildern der „Krone“ ihre Lage. Die Stimmung ist gedrückt, alle haben das Handy neben sich liegen. Immer wieder kommen aktuelle Nachrichten aus der alten Heimat. „Eine Freundin hat mir gerade geschrieben, dass sie schon ein Flugticket in die USA hatte, aber nicht zum Flughafen durchkommt, schon gar nicht ohne Mann. Man hat ihr nahegelegt, nach Hause zu gehen, sonst werde sie erschossen“, erzählt Roohullah Borkani, der seit 2015 in Österreich lebt und perfektes Deutsch spricht.

Roohullah Borkani und Fereydun Zahedi sind selbst vor den Taliban geflohen. (Bild: Christian Jauschowetz)
Roohullah Borkani und Fereydun Zahedi sind selbst vor den Taliban geflohen.

Auch Shakera Glimbaf ist verzweifelt: Ihre Schwester hat in Kabul studiert und hatte große Pläne für die Zukunft. „Jetzt steht sie vor dem Nichts, sie und meine Familie wollen einfach nur flüchten. Aber sie haben keine Pässe.“

„Dass es so schnell ging, macht alle perplex“
Dass die Taliban nach Abzug der USA wieder an die Macht kommen, war vorhersehbar, sagt die in Wundschuh lebende Dolmetscherin Masomah Regl. „Aber dass es so schnell ging, macht alle perplex. Schon jetzt beginnt die Versorgung zusammenzubrechen, es ist katastrophal.“

Die große Angst um Verwandte und Freunde sei schwer zu ertragen, sie könne kaum noch schlafen, sagt Regl, die in den 90er-Jahren als Kind im afghanischen Bürgerkrieg bei einem Raketenangriff ein Bein verloren hat. Sie räumt auch entschieden mit Vorurteilen auf: „Ja, viele Afghanen sind konservativ und traditionell, wenn es um Religion geht. Das Terror-Regime der Taliban ist aber ganz was anderes, das will niemand!“

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