Seit fast 20 Jahren ist eines bei nahezu jeder Graz-Wahl gewiss: Hernach wird allerorten die Frage gestellt, wie eine doch so bürgerliche Stadt Hochburg der Kommunisten sein kann. Die Antworten darauf sind auch nach dem KPÖ-Wahlsieg nicht neu. Vorweg: Kommunisten sind die Grazer deshalb nämlich noch nicht.
„Die politische Entmachtung der Kapitalistenklasse ist Voraussetzung.“ Oder: „Banken, Versicherungen und Schlüsselbereiche der Wirtschaft (...) gehören in die öffentliche Hand.“ Oder gar: „Länder, die einen Ausbruchsversuch in Richtung Sozialismus versuchen können, müssen die EU verlassen.“
Diese Passagen stammen nicht etwa aus dem DDR-Staatsarchiv, nein, das sind aktuellen Ziele aus dem Programm der KPÖ in der Steiermark, die darin auch Venezuela und Kuba als Vorbilder nennt. Sprich: All das schreibt jene Partei, die am vergangenen Sonntag mit fast 30 Prozent Platz eins die zweitgrößten Stadt Österreichs erobert hat. Sind die Grazer also nun grosso modo Kommunisten mit Einteignungs-Avancen und Venezuela-Sehnsucht?
„Natürlich nicht“, sagt der Grazer Politikwissenschaftler Heinz Wassermann, „die KPÖ wurde am Sonntag nicht aus ideologischen Motiven gewählt“. Bei anderen Wahlen, sagt er, „liegen sie zwischen zwei und drei Prozent“, das Ganze sei also ein lokales Phänomen - und zwar kein neues: Die KPÖ holte in der Stadt mit knapp 300.000 Einwohnern schon 2003 rund 20 Prozent, ebenso 2012 und 2017.
Bürgerliche Bezirke wählten auch dunkelrot
Die Hauptgründe scheinen stets dieselben: das außergewöhnliche soziale Engagement der Partei und ihre für Protestwähler attraktive Andersartigkeit. So zahlen KPÖ-Funktionäre einen Großteil ihrer Bezüge in einen Fonds ein, um Menschen in „Notlagen“ zu helfen. Parteichefin Elke Kahr sieht ihre Truppe daher eher als eine Art „Hilfsorganisation“. Wer einen neuen Boiler oder eine Waschmaschine braucht, aber kein Geld dafür hat, kann zu ihr kommen, auch bei Wohnungsfragen hilft die KPÖ - obwohl ihr die ÖVP vor einigen Jahren den das Wohnbauressort entzogen hat.
Doch nicht nur jene, denen die KPÖ die Waschmaschine zahlt, wählen sie - im Gegenteil: Selbst noble Bezirke wie Innere Stadt, Geidorf und Sankt Leonhard sind mehrheitlich dunkelrot. Wassermann: „Viele sagen: ,Die arbeiten nicht in die eigene Tasche, die wollen wirklich helfen.‘ Die KPÖ bedient damit ein Idyll der Politik“ - auch, wenn es einem persönlich nichts bringt. Dazu kämen die Schwäche der SPÖ, gefloppte Ankündigungen der ÖVP und der Umstand, dass auch die Kommunisten in der Klimapolitik punkten.
Übrigens: In der kommunalen Praxis, fernab von Venezuela & Co., geht es bei Kahrs Kommunisten dann schon weniger radikal zu. Da tritt man gegen Spitalsschließungen und Bodenversiegelung auf, für Öffi-Ausbau und günstige Jahreskarten, für Radwege und neue Gemeindebauten. Das klingt dann schon weniger nach DDR.
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