Es ist ein Verdacht, der für besondere Aufregung sorgt: Sebastian Kurz und sein Team hätten, vermutet die WKStA aufgrund einschlägiger Chats, eine Reform der Kinderbetreuung verhindert. Das, obwohl der Plan laut SMS „echt geil“ gewesen sei - man gönnte Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner die Lorbeeren nicht. Wie dringend wäre eine Reform denn gewesen und was würde ein Ausbau der Kinderbetreuung samt Rechtsanspruch bewirken? Unter anderem dazu forschen die Ökonomen Dr. Monika Köppl-Turyna von Ecoaustria und Prof. Martin Halla von der JKU Linz. Im Gespräch mit Damita Pressl klären sie bei „Moment Mal“ auf: Es bräuchte nicht nur mehr Geld, wir setzen es auch falsch ein.
Nur rund ein Viertel der Kinder unter drei Jahren sind in Österreich in Fremdbetreuung, nur rund ein Drittel wird in der Schule ganztags betreut. Das hat Konsequenzen für die Eltern, und da vor allem für die Mütter, die nicht etwa nur ein oder zwei Jahre dem Arbeitsmarkt fern bleiben: „Frauen arbeiten dann die nächsten zehn, 15 Jahre in Teilzeit“, so Köppl-Turyna, und daraus folgen geringere Einkommen und geringere Pensionen.
Es fehlt die Infrastruktur, die - mit Ausnahme von Wien - oft nicht auf längere Öffnungszeiten ausgelegt ist. Für eine wirkliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie bräuchte es Kindergärten, die neun Stunden täglich und 45 Stunden wöchentlich geöffnet sind. „Das wird aber auch etwas mit den Präferenzen der Eltern zu tun haben“, vermutet Halla, ein reines Ausweiten des Angebots würde nicht genügen.
Die Forschung zum Thema ist klar: „Die Rendite ist in den früheren Schulstufen und bei Kindern aus schwächeren sozialen Verhältnissen besonders hoch“, sagt Köppl-Turyna. Im Klartext: für ein Kind, das zu Hause auf beengtem Wohnraum mit gestressten, niedrig verdienenden Eltern lebt, die ihm vielleicht auch noch unzureichend Deutsch beibringen können, ist eine Ganztagsbetreuung ein Segen, und das ab einem möglichst jungen Alter. „Diese Kinder würden von früher Betreuung bzw. später einer Ganztagsschule profitieren“, sagt Halla.
Aus Deutschland wissen wir nur leider, dass gerade jene, die von einem Betreuungsangebot am meisten hätten, dieses weniger oft in Anspruch nehmen. In Familien mit viel Wohnraum und hohem Bildungsgrad hingegen werden die Kinder ohnehin gefördert - auch hier hat Fremdbetreuung aber keinen negativen Effekt. „Das verbreitete Bild, dass es schädlich für die Kinder ist, stimmt jedenfalls nicht“, stellt Köppl-Turyna klar.
Elementarpädagogik als Bildung noch nicht in den Köpfen der Menschen
Dieses Bild will aber nicht ganz aus den Köpfen raus. Denn Österreich hat nach wie vor konservative Geschlechterrollen: „Wenn man fragt, ob Mütter in Vollzeit arbeiten sollen, dann antwortet die Mehrheit der Österreicher Nein. In Dänemark sind wir da im einstelligen Bereich. Die Elementarpädagogik wurde bis vor Kurzem nicht einmal als Bildungsinstitution gesehen - nicht in den Gesetzen, aber auch nicht in den Köpfen der Menschen“, so die Ökonomin.
So würde ein breiteres Angebot möglicherweise gar nicht genutzt. „Es kommt auch darauf an, was Eltern wollen. Vor allem am Land haben die Vereine einen anderen Stellenwert. Die wollen halt am Nachmittag zur Musik, zur Feuerwehr, zum Fußball. Das spießt sich mit dem Konzept der Ganztagsschule“, sagt Halla.
Ausbau würde sich auszahlen
Ein Ausbau wäre aber auch nicht sehr teuer. Denn: Etwa zwei Drittel der Kosten kämen unmittelbar zurück, etwa durch erhöhte Arbeitsmarktbeteiligung der Eltern, wenn man für Kinder unter drei Jahren um zehn Prozentpunkte mehr Betreuungsangebote schaffen würde. Über einen längeren Zeitraum wahrscheinlich sogar mehr: „Bildungsergebnisse sieht man erst in 20 oder 30 Jahren. Kinder, die früh in Betreuung waren, gehen später öfter ins Gymnasium und werden produktiver. Bis das passiert, sind aber alle Politiker längst in Pension“, so Köppl-Turyna.
Zu tun wäre genug. Der berühmte Rechtsanspruch wäre noch nicht einmal das Dringlichste. In Wien etwa sieht man, dass trotz Rechtsanspruch die öffentlichen Plätze oft nicht reichen. „Kleine Gemeinden wären vor sehr großen Schwierigkeiten gestanden“, sagt Halla. Viel wichtiger: ein besserer Betreuungsschlüssel, wie ihn auch die Pädagoginnen selbst fordern, klare Qualitätskriterien, nach denen sich auch die Finanzierung und der Finanzausgleich richtet, und regelmäßige Erhebungen zur Sicherung der Standards.
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