Bald hat der letzte Atomreaktor Österreichs Rentenalter erreicht. Nächstes Jahr feiert er am Atominstitut am Rande des Praters seinen 60er. Auch wenn zwei seiner heimischen Reaktorkollegen bereits in Frührente geschickt worden sind, hat der Triga Mark II noch immer einen vollen Terminkalender. Obwohl sich die Bevölkerung in einer historischen Wahl gegen Atomkraft-Nutzung ausgesprochen hat, hat niemand etwas gegen den kleinen, drei Stockwerke hohen Forschungsreaktor mitten in der Großstadt. krone.at hat sich angesehen, warum ein Atomreaktor so gut neben eine Wiener Schrebergarten-Siedlung passt.
Sein im Land geborener, jüngerer Bruder verstarb voll einsatzfähig 1978 in Zwentendorf quasi im Kinderbett. Sein älterer, leistungsfähigerer in Seibersdorf fiel vor 21 Jahren dem Outsourcing zum Opfer. Wenig später wurde ein jüngerer, schwächerer Bruder - der Siemens-Reaktor Argonaut - nach 40 Dienstjahren in Graz dienstfrei gestellt. Dennoch brauchte sich Wiens Atomreaktor in seiner Vergangenheit nie Sorgen zu machen, als Dienstältester im Atominstitut der Technischen Universität in wohlverdiente Pension geschickt zu werden. Er ist nicht nur ein geduldiger Forschungspartner, sondern auch ein guter, wenn auch außergewöhnlicher Nachbar. Die prominente Lage mit Blick auf den Donaukanal hat in seiner Vergangenheit noch nie jemanden gestört.
Lernreaktor wurde „deppensicher“ konstruiert
Mit einer maximalen Leistung von 250 Kilowattstunden geht von dem Mini-Reaktor auch keine Gefahr aus. Das reicht nicht einmal aus, um Strom zu produzieren. Die Brennstäbe erhitzen sich gerade einmal auf 200 Grad Celsius und brennen sehr langsam ab. Nach 50 Jahren musste erstmals der Reaktorkern in die USA zurückgeschickt werden. Der Tausch der Brennstäbe fand 2012 unter erstaunlich wenig öffentlichem Interesse oder gar Protest statt. Manch übereifriger Reporter war enttäuscht.
„Ein Fotograf ist am Zaun herumgesprungen und ich habe ihn gefragt, was er denn da draußen macht. Er dachte, wir hätten was dagegen, wenn er darüber berichtet. Da habe ich ihn einfach hereingebeten, von innen kann er ja auch viel bessere Fotos machen“, erinnert sich der Reaktor-Manager Mario Villa vom Triga-Center der TU Wien. Es gäbe auch keinen Grund, sich wegen des Reaktors Sorgen zu machen. „Er ist als Lernreaktor so konzipiert, dass niemand sich selbst oder anderen Schaden zufügen kann“, so Villa. Vereinfacht gesagt, schaltet er sich ab, wenn die Temperatur zu hoch wird.
Wiens Triga Mark II ist der modernste Reaktor seiner Bauart
Wie sicher er ist, davon kann man sich auch gerne selbst überzeugen, wenn gerade keine Pandemie herrscht. Österreichs einziger Atomreaktor ist sehr gastfreundlich und empfängt in einem normalen Jahr bis zu 4000 Besucher. Der Reaktor ist eingebettet in einen neun Meter hohen, sechs Meter breiten Turm, „in freundlichem Schönbrunner-Gelb gestrichen“, schmunzelt Villa.
Trotz seines gehobenen Alters wirkt der Triga Mark II gar nicht in die Jahre gekommen. „Im Zuge des Brennstabwechsels wurden weitere Investitionen vorgenommen und der Reaktor ordentlich modernisiert“, erklärt der Reaktormanager stolz. Der Institutsleiter kennt die meisten der Dutzende baugleichen Reaktoren, die in Europa, Asien und Afrika im Einsatz waren oder noch immer sind. „Unserer ist mit Abstand der modernste“, ist Villa überzeugt.
Die Benutzeroberfläche des Triga Mark II damals und heute:
Brennstäbe in schwaches Leuchten getaucht - bei offener Luke
Von der Reaktorplattform kann man einen Blick in das Schwimmbecken werfen. Das Wasser als Kühlmittel wird auch ähnlich wie ein Pool gepflegt. Hineingreifen soll man nicht, auch wenn es nicht grob schaden würde. Das Problem ist nicht die Strahlung, sondern, dass dieses besonders reine Wasser der Haut sehr viel Fett entzieht. „Man muss sie dann mit einer normalen Handlotion eincremen“, klärt Villa über die größte Gefahr am Beckenrand auf. Damit das schwache Leuchten rund um die Brennstäbe auch gut zur Geltung kommt, wird das Licht gedimmt. Das Strahlenmessgerät, das jeder Besuch als einzige persönliche Sicherheitsausrüstung tragen muss, bleibt stumm.
220 Arbeitstage pro Jahr
Wenn gerade kein selten gewordener Besuch ansteht, wird hier geforscht, berechnet und gemessen. Der Triga Mark II ist durchschnittlich 220 Tage im Jahr im Betrieb. Unzählige Wissenschaftler haben bereits mit ihm gearbeitet, mit seiner Hilfe wurden 1500 Diplomarbeiten verfasst. „Außer am Wochenende und an Feiertagen oder wenn er gewartet wird, ist der Reaktor acht Stunden pro Tag in Betrieb“, so Villa. Dem renommierten Kernphysiker Helmut Rauch hätte er beinahe zum Nobelpreis verholfen.
Zwischen Donaukanal und Schrebergärten
Die Lage mitten in der Stadt gleich neben einer Schrebergartensiedlung ist auch für einen Lehrreaktor wahrscheinlich einzigartig. Vor Baubeginn war auch der Flakturm im Augarten als Location im Gespräch. Die Wahl des tatsächlichen Standorts an der Ecke Schüttelstraße/Stadionallee sei allerdings schon aus Platzgründen eine gute Wahl gewesen. Aktuell wird der TU-Forschungsstandort erweitert, Baumaschinen und Kräne arbeiten neben den Labors.
Mit den direkten Nachbarn hatte man stets ein gutes Verhältnis, erklärt der Reaktormanager: „Die einzige Beschwerde gab es in den Anfangsjahren des Instituts. Da hat sich der Obmann vom Kleingartenverein Wasserwiese beschwert, dass unser Grüngelände zu verwahrlost sei", schmunzelt Villa. Früher habe man den Kleingärtnern regelmäßig Obst abgekauft. Solange die Rasenlänge passt, ist also kein Nachbarschaftsstreit in Sicht.
Warum braucht Österreich überhaupt einen Forschungsreaktor, wenn es Atomenergie gar nicht aktiv nutzt? „Auch wenn wir selbst kein Atomkraftwerk betreiben, muss die heimische Wissenschaft in der Lage sein, sich mithilfe der Forschung eine fundierte Meinung zu bilden“, so Villa. Gerade nach Atomunglücken wie Tschernobyl oder Fukushima wurden die Experten des Atominstituts als Experten zurate gezogen. „Gerade das Unglück in Fukushima hat gezeigt, dass große Panik herrschte, obwohl die Österreicher gar nicht direkt gefährdet waren“, so Villa.
Zudem greift die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO noch immer regelmäßig auf die Dienste des Triga Mark II zurück. „Seit 1984 werden hier Safeguards der Vereinten Nationen ausgebildet.“ Die UN-Atombehörde ist nur in Luftlinie knapp vier Kilometer entfernt. Ob Österreichs einziger Reaktor noch weitere 60 Jahre im zweiten Bezirk vor sich hin strahlen darf? „So lange vermutlich nicht, aber 15 bis 20 weitere Jahre auf jeden Fall“, erklärt der Reaktormanager.
Kein lohnendes Ziel für Attentäter
Zum Abschluss möchte man allerdings doch noch wissen, ob es ein Horrorszenario gibt, in dem der Reaktor zu einer Gefahr werden könnte. Was ist, wenn ein Attentäter alle Sicherheitsbarrieren überwindet und den Triga Mark II in die Luft sprengt? „In so einem Fall könnte natürlich Strahlung austreten“, räumt Villa ein, wundert sich aber gleichzeitig über diese abwegige Frage. Laut dem Experten sei der Reaktor kein besonders lohnendes Ziel für Terroristen. „Der Aufwand wäre auch viel zu groß für den potenziellen Schaden“, so der Reaktor-Manager.
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