Intensivmediziner, die Ärztekammer und zahlreiche Virologen begrüßen den am Freitag verkündeten österreichweiten Lockdown zur Eindämmung der vierten Corona-Welle. „Die Rekordwerte bei den Infektionszahlen, die wir jetzt Tag für Tag erlebt haben, werden sich erst zeitverzögert auch in den Normal- und Intensivstationen widerspiegeln. Es ist wirklich höchste Zeit für eine Vollbremsung“, betont Walter Hasibeder, Präsident der Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). Drastische Worte findet FPÖ-Chef Herbert Kickl: „Österreich ist mit heutigem Tag eine Diktatur!“
Vor allem über die Impfpflicht ärgert sich der Parteiobmann, der selbst erst vor Kurzem positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Mit dem angekündigten „generellen Impfzwang“ überschreite die türkis-grüne Bundesregierung „eine dunkelrote Linie“, befindet Kickl und zeigt sich außerdem sicher, dass dieser verfassungswidrig ist. Zuvor haben mehrere Verfassungsexperten keine Bedenken gegen diese Maßnahme geäußert. Kickl erwartet sich nun vorab eine Stellungnahme des VfGH zum „Regierungsangriff auf das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit der Menschen in diesem Land“.
NEOS: „All das hätte sich Österreich erspart“
Für die NEOS ist der erneute komplette Lockdown in Österreich das Ergebnis eines Totalversagens der Bundesregierung. „Dass er nun als Ultima Ratio scheint, um das Gesundheitssystem zu schützen, zeigt nur das Zögern und Zaudern davor“, so Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. Bestraft würden auch jene Bundesländer, die Vorbereitungen getroffen haben und das Impfen sowie PCR-Testmöglichkeiten breit ausgerollt haben. „All das hätte sich Österreich erspart, wenn im Sommer und Frühherbst entschlossen gehandelt worden wäre“, meint Meinl-Reisinger.
SPÖ: „Impfpflicht ein heikles Thema“
Auch die SPÖ ist der Ansicht, dass „der vierte Lockdown hätte verhindert werden können“. Die Regierung habe die Warnungen der Experten zu lange nicht ernst genommen, attestiert Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Die Impfpflicht nennt sie ein „heikles Thema“, entscheidend sei aber, dass eine Situation wie derzeit damit künftig jedenfalls verhindert werde. Zudem drängt Rendi-Wagner darauf, die dritte Teilimpfung sofort aktiv zu forcieren.
Für Intensivmediziner Hasibeder gab es „angesichts der aktuellen Infektionsentwicklung“ keine Alternativen. „Allerdings kommen die Maßnahmen zu spät!“ Auch wenn jetzt Geimpfte wie Ungeimpfte von verschärften Maßnahmen betroffen sind, bleibe es natürlich das Gebot der Stunde, dass sich noch nicht Immunisierte impfen lassen und bereits Immunisierte an den rechtzeitigen „Booster“ denken, betont Hasibeder.
Industrie: „Bedauerlich, aber notwendig“
Die Industrie findet den radikalen Schritt „bedauerlich, aber notwendig“. Gleichzeitig müsse dafür Sorge getragen werden, dass es durch die nun gesetzten Schritte zu keinen wirtschaftlichen Verwerfungen in einem Ausmaß kommt, das die gegenwärtige Erholung und den Rückgang der Arbeitslosigkeit nachhaltig beeinträchtigt. „Vor allem die Produktion muss - schon im Interesse der Versorgungssicherheit im Land - am Laufen und Lieferketten intakt gehalten werden. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, wie wichtig das ist. Andernfalls kommt zum gesundheitspolitischen auch noch ein herber wirtschaftlicher Rückschlag hinzu. Das können und dürfen wir uns nicht leisten“, gibt der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill, zu bedenken.
Handel: „Historische Katastrophe“
Der heimische Handel spricht von einer „historischen Katastrophe“. WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik beklagt, dass dieser Schritt deswegen besonders schlimm sei, da er „vermeidbar gewesen wäre“. Ab 22. November dürfen nur Geschäfte des täglichen Bedarfs für drei Wochen komplett offen halten, bei den anderen Händlern ist nur „Click & Collect“ sowie Abholung nach Vorbestellung möglich.
Tourismus: „Wirtschaftlich kaum zu verkraftender Schlag“
Trotz der schwierigen Situation für den Tourismus durch den Lockdown gibt es auch ein gewisses Verständnis dafür. „Der generelle Lockdown trifft Tourismus und Freizeitwirtschaft genau zum Start von Wintersaison und Weihnachtsgeschäft ungebremst und in voller Härte. Er ist aber angesichts der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems sowie zur Rettung der Wintersaison wohl unausweichlich“, sagt Robert Seeber, Tourismus-Spartenobmann in der Wirtschaftskammer. Susanne Kraus-Winkler, Obfrau des Fachverbandes Hotellerie in der Wirtschaftskammer, sieht nun zumindest eine Perspektive: „So schmerzlich der neuerliche Lockdown ist: Er soll mit 12. Dezember ein fixes Ablaufdatum für Geimpfte und Genesene haben. Diese klare Befristung ist sowohl für Betriebe als auch Mitarbeiter und Gäste ein wichtiges Signal und ermöglicht Planbarkeit.“
Die Reisebüros sehen in den am Freitag angekündigten Maßnahmen einen „wirtschaftlich kaum zu verkraftenden Schlag“, sagt Gregor Kadanka, WKÖ-Obmann der Reisbüros. Schon im Sommer hätten sich die Erwartungen leider nicht erfüllt. Für den Winter habe man vorsichtig mit 2G geplant, selbst dies treffe nun nicht mehr zu.
Wirtschaftskammer: „Rasche Wirtschaftshilfen alternativlos“
Die Wirtschaftskammer fordert nun finanzielle Hilfen für die Unternehmen. „Rasch wirkende Wirtschaftshilfen sind jetzt alternativlos. Diese haben sich bereits bewährt und müssen erneut zum Einsatz gebracht werden“, betonen Kammerpräsident Harald Mahrer und Generalsekretär Karlheinz Kopf. Zur angekündigten Impfpflicht ab Februar 2022 meint die Wirtschaftskammer-Spitze: „Die Wirtschaft begrüßt jede Maßnahme, die wirksam zur Erhöhung der Impfquote beiträgt. In erster Linie gilt es daher, für umfassende Aufklärung quer durch die Bevölkerung und durchdachte Anreize für die Impfung zu sorgen.“ Schulschließungen wiederum dürften Eltern nicht vor Betreuungsprobleme stellen.
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