„Baby anschauen“

Kurz: Politischer Wunderknabe geht in Politpension

Politik
02.12.2021 14:27

Beim Abgang bricht Sebastian Kurz noch einen Rekord: Der 35-Jährige ist nun auch der jüngste zurückgetretene ÖVP-Chef aller Zeit. Zermürbt von den Ermittlungen der Justiz, frustriert vom erzwungenen Rückzug als Kanzler und belebt durch die Geburt seines Sohnes Konstantin macht der einst als Wunderknabe Gefeierte nach einem Jahrzehnt mit der Politik Schluss. Sollte sein Rücktritt tatsächlich ein Abschied für immer sein, geht damit eine erstaunliche Karriere zu Ende. Persönlich beginnt für Kurz ein neues Kapitel, das des Familienvaters: „Bei der Geburt meines Sohnes ist mir klargeworden, wie viel Schönes es auch außerhalb der Politik gibt.“

Kurz war jüngster Staatssekretär, jüngster Außenminister, jüngster ÖVP-Obmann, jüngster Regierungschef und auch jüngster Altkanzler - das „Altkanzler“ sogar zweimal. Gestolpert ist er letztlich über seinen effizienten, aber zumindest nicht eleganten, möglicherweise sogar strafrechtlich relevanten Weg zur Macht in seiner Partei. Was auch immer Kurz nun zu tun gedenkt, die Ermittlungen der Justiz werden seinen Weg in die Privatwirtschaft nicht unbedingt erleichtern. Gleich in zwei Fällen wird er beschuldigt: In jener um getürkte Umfragen wegen Untreue, dazu gibt es noch die Ermittlungen wegen Falschaussage im U-Ausschuss.

Alte Rechnungen zu begleichen
Dass Kurz deswegen als Kanzler gehen musste, war den Grünen geschuldet, die um ihr Anti-Korruptionsimage besorgt waren. Wie viele Feinde sich der langjährige Wählermagnet bis dahin gemacht hatte, zeigte sich schon darin, dass alle anderen Parteien bereit gewesen wären, eine Zusammenarbeit über alle ideologischen Grenzen hinweg zu schmieden, nur um Kurz aus dem Amt zu bekommen.

Wirklich wundern muss das nicht. Der SPÖ kündigte er dereinst die Koalition auf und der FPÖ ging es im Gefolge von Ibiza nicht besser - und beide Male zahlte sich der Poker mit Platz eins bei der Neuwahl für Kurz aus. Nun aber standen die Chancen, dereinst wieder auf den Ballhausplatz zurückzukehren, deutlich schlechter als nach seiner erstmaligen Abwahl. Selbst in der eigenen Partei war der Rückhalt teils sogar öffentlich gebröckelt.

Angekommen in der hohen Politik: Kurz vor seinem Amtsantritt als Integrationsstaatssekrtär (Bild: APA/Roland Schlager)
Angekommen in der hohen Politik: Kurz vor seinem Amtsantritt als Integrationsstaatssekrtär

Schwieriger Anfang, steiler Aufstieg
Für Kurz begann es auch gar nicht so vielversprechend in der Politik. In der JVP schickte man ihn dereinst sogar weg, weil man gar keine Mitstreiter suchte, ehe er es später doch zum Obmann der ÖVP-Jugendorganisation brachte, die als Basis für seine Karriere diente. Auch sein Kabinettseintritt verlief nicht gerade triumphal. Von Michael Spindelegger 24-jährig ins Integrationsstaatssekretariat geholt, wurde Kurz teils weit unter der Gürtellinie mit Hohn überschüttet.

Doch Kurz wusste zu überzeugen - mit Sachlichkeit, Freundlichkeit und einem damals noch sehr liberalen Kurs. Wenig erwartet wurde er rasch zum Trumpf der Volkspartei und begab sich im Außenministerium quasi in die Warteposition für noch höhere Weihen. Dass er ein wenig gar ungeduldig war, es an die Spitze zu schaffen, weiß man heute dank öffentlich gewordener Chats. Der darin angeschlagene Ton kontrastiert scharf zu dem „neuen Stil“, den Kurz und sein ihm treu ergebenes Umfeld zur Erfolgsmasche machte.

Bilder aus Kurz‘ politischem Leben:

„Ich freue mich vor allem auf die Zeit mit meinem Kind“
Jetzt geht Kurz. Wohin, sagt er noch nicht. Abzuschließen wäre noch ein Jus-Studium, das seit vielen Jahren ruht. Auch die Familie - Kurz wurde kürzlich zum ersten Mal Vater - ruft, und der ein oder andere Tag mehr am Berg wird sich wohl auch ausgehen. Viel anderes an Privatem ist auch nach einem Jahrzehnt Kurz-Politik nicht bekannt. „Für mich beginnt ein neues Kapitel in meinem Leben, das ich ab heute aufschlagen darf“, sagte er am Donnerstag in seiner Abschiedsrede.

Zitat Icon

So ein kleines Baby kann man stundenlang anschauen.

Sebastian Kurz über die Zeit, die jetzt ansteht

„Ich freue mich vor allem auf die Zeit mit meinem Kind und meiner Familie, bevor ich mich im neuen Jahr neuen Aufgaben widmen werde“, so Kurz. Bei der Geburt seines Kindes Konstantin sei ihm klargeworden, wie viel Schönes es außerhalb der Politik gebe. Doch es sei ihm „eine große Ehre“ gewesen, „der Republik dienen zu dürfen“. Nun hole er seine Freundin und seinen Sohn aus dem Spital ab, kündigte Kurz an, bevor er von der politischen Bühne abtrat.

Sebastian Kurz mit seiner Freundin und nun auch Mutter seines Sohnes, Susanne Thier (Bild: APA/Helmut Fohringer)
Sebastian Kurz mit seiner Freundin und nun auch Mutter seines Sohnes, Susanne Thier

Zur Person

Sebastian Kurz, geboren am 27. August 1986 in Wien. 2007 bis 2012 Vorsitzender der Wiener JVP, 2009 bis 2017 Obmann der Bundes-JVP. 2010 bis 2011 Abgeordneter zum Wiener Landtag. Ab Juni 2011 Staatssekretär für Integration, ab Dezember 2013 Außen- und ab März 2014 Außen- und Integrationsminister. Seit Mai 2017 ÖVP-Obmann, von Dezember 2017 bis Mai 2019 und von Jänner 2020 bis Oktober 2021 Bundeskanzler.

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