Der Europarechtler Walter Obwexer rät Österreich von einer Klage gegen die Pläne der EU-Kommission, Atomkraft und fossiles Gas per Verordnung für Finanzprodukte als nachhaltig einzustufen, ab. Die Aussichten, damit durchzukommen, seien nicht groß, so der Jurist am Dienstag. Eine Klage vor dem EuGH, wie von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) anvisiert, hätte ihm zufolge auch keine aufschiebende Wirkung und eine Entscheidung fiele wohl erst in zwei Jahren, wie Obwexer gegenüber der „Krone“ erklärte.
Eine sogenannte Nichtigkeitsklage gegen die neue Einstufung der Energieformen (Taxonomie) könnte laut dem Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck aus zwei Gründen erfolgen: Verstoß der Kommission gegen die bisherige Taxonomieverordnung von 2020 und/oder Ermessensüberschreitung durch die Kommission. „Beide Klagegründe scheinen nicht Erfolg versprechend zu sein“, so Obwexer im Ö1-„Morgenjournal“. Die Zuständigkeit der EU-Kommission sei in der Frage der Einstufung jedenfalls „eindeutig gegeben“, betonte der Europarechtler weiter. Das Argument, dass Atomkraft nicht nachhaltig sei, stehe auf schwachen Beinen.
Beide Klagegründe scheinen nicht Erfolg versprechend zu sein.
Jurist Walter Obwexer
Die Klage könnte erst nach Inkrafttreten der neuen Verordnung - „voraussichtlich nicht vor Sommer“ - eingebracht werden, wie der Jurist in der „Krone“ erläuterte. Mit einer Entscheidung wäre wohl erst 2024 zu rechnen - die Verordnung wäre bis dahin in Kraft. Investoren könnten schon jetzt bei Gerichten in Österreich Klagen einbringen, die sich dann wiederum an die EU-Gerichtsbarkeit wenden würden. Dass Österreich ausreichend andere EU-Mitglieder findet, um den Taxonomie-Vorschlag der EU-Kommission zu Fall zu bringen, oder eine Mehrheit im EU-Parlament dagegen stimmt, gilt ebenfalls als unwahrscheinlich.
Europa steht unterschiedlich zur Atomenergie
Die Einstufung ist unter den EU-Mitgliedsstaaten umstritten. Während etwa Frankreich oder Tschechien auf Atomkraft setzen, steigt Deutschland bis Ende 2022 aus der Technologie aus - und schrittweise auch aus der Kohle. Deutschland begrüßt aber den Teil des Kommissionsvorschlags zum Gas als Brückentechnologie auf dem Weg aus der Klimakrise. Am Montagabend hieß es aus Regierungskreisen, die deutsche Bundesregierung werde sich auf EU-Ebene in der Frage enthalten, ob Erdgas und Atomenergie als nachhaltige Übergangstechnologien eingestuft werden. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte zuvor bereits eine Klage Deutschlands so gut wie ausgeschlossen.
Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass Atomenergie und Erdgas mit Auflagen für einen Übergangszeitraum als nachhaltige Energieträger eingestuft werden sollen. Die Klassifikation für „grüne“ Technologien in der sogenannten Taxonomie soll dazu beitragen, dass private Investitionen künftig verstärkt in erneuerbare Energien fließen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) bezeichnete den Entwurf am Montag als „nicht akzeptabel“ und erklärte, den „Klagsweg beschreiten“ zu wollen.
EU-Bevölkerung gespalten, meiste Länder mit Mehrheit dafür
Die Haltung zu Atomenergie ist übrigens in Europa recht unterschiedlich: Besonders ausgeprägt ist die Skepsis in Deutschland und Österreich, wo nur 25 bzw. 30 Prozent der Kernenergie positive Auswirkungen zutrauen. Von negativen Effekten gehen 69 Prozent der Deutschen und 66 Prozent der Österreicher aus. Auch in Luxemburg und Griechenland überwiegt die Ablehnung.
Fast genau im europäischen Durchschnitt liegt Frankreich, wo sich positive und negative Erwartungen mit je 45 Prozent die Waage halten. Auch in Spanien, Portugal, Dänemark und Belgien liegen Zustimmung und Ablehnung knapp beisammen.
In allen anderen EU-Ländern überwiegen dagegen die positiven Erwartungen an die Kernkraft - allen voran in Tschechien (79 Prozent) und Bulgarien (69 Prozent). In der Slowakei und in Schweden trauen je zwei Drittel der Nuklearenergie positive Effekte zu. Und in Finnland, wo erst im Dezember ein neuer Reaktor ans Netz genommen wurde, erwarten 60 Prozent positive Auswirkungen der Kernenergie - so viele wie in Polen.
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