Nation verletzt
Djokovic ist Serbien, Serbien ist Djokovic!
Der verlorene Sohn ist wieder in der Heimat. Die ganze Nation identifiziert sich und ihren ganzen (verletzten) Stolz mit dem Tennis-Star - nicht erst seit der Visaaffäre in Australien: Djokovic ist Serbien, Serbien ist Djokovic!
Die Exzesse nationaler Hysterie haben alte Wunden aufgerissen. Der Tennis-Profi sei gemobbt worden, „weil er Serbe ist“, klingt die Märtyrer-Saga in Belgrader Medien. Das Vorgehen Australiens wird als Angriff verstanden auf die Würde einer Nation, die seit Jahrhunderten in einem nationalen Opfermythos gefangen ist, ja ihre nationale Identität aus Niederlagen schöpft - und dementsprechend auch zu vorauseilender Angriffigkeit neigt.
Aus diesem Teufelskreis erwuchs über Jahrhunderte ein Märtyrerkult. „Nole (so der Kosename für Novak) fehlt die Unterstützung der Welt, aber jene Serbiens wird er nie verlieren“, hieß es auf Demos während der Kontroverse um seine (angeblich) falschen Daten zur Einreise in Australien.
„Freiheitsheld“ steht für Hoffnung
Es ist keine Neuigkeit, dass Serbien in der Welt nicht gerade einen besonders guten Ruf hat. Woran das liegen mag - darüber wird in Serbien in breiten Kreisen noch immer gerätselt. Die nationale Lichtgestalt sollte dieses Defizit mit seinen Siegen überstrahlen. Der Titel „Freiheitsheld“ steht für die Hoffnung dieser Generation auf Befreiung aus dem Misstrauenswinkel der Welt und aus dem toxischen Nationalismus der Milosevic-Ära.
Bösewichte und Verräter
Die Geschichte wiederholt sich - seit 600 Jahren: ein tapferer Landsmann, ein tapferes Volk und dazu ein Bösewicht. Was heute Australiens Premier Morrison ist, war im Jahre 1389 der „Verräter“ Vuk Brankovic gewesen, der angeblich die Schuld an der Niederlage der Serben gegen die Osmanen in der epischen Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo) trug. Der „Vidovdan“ (Veits-Tag, 28. Juni) auf dem Amselfeld - ein serbischer Mythos (am kritischen Vidovdan war Thronfolger Franz-Ferdinand nach Sarajewo gefahren).
Wir Serben lassen uns weder die Seele noch die Würde noch das Herz aus dem Leib reißen. Ganz Serbien ist mit dir!
Präsident Aleksandar Vucic zum Vorgehen Australiens gegen Novak Djokovic
Dieser Kult - Serbien als ewiges Opfer - überdauerte die 450 Jahre osmanischer Herrschaft bis zum Jahr 1989. Damals nutzte Slobodan Milosevic den 600. Jahrestag mit einer denkwürdigen Rede („Niemand darf die Serben schlagen!“) als Anlass, das Polit-System des Kroatoslowenen Tito abzuschaffen, was zum Jugoslawienzerfallskrieg führte.
Nicht zum ersten Mal ins Zwielicht gerückt
Die folgenden Kriegsgräuel in dem Bemühen der Schaffung eines „Groß-Serbien“ rückten Serbien nicht zum ersten Mal ins Zwielicht. 1914: tödliches Attentat gegen das Thronfolgerpaar in Sarajewo; 1929: die Königsdiktatur in dem Nach-1918-Staat „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“; 1991/92: gewaltsamer Widerstand gegen die Unabhängigkeit Sloweniens, Kroatiens, Bosniens (Milosevic: „Ihr könnt gehen (aus Jugoslawien), aber ihr könnt die Serben (dort) nicht mitnehmen“); 1999: gewaltsamer Widerstand gegen die Unabhängigkeit des Kosovo.
Nationalheld besonderer Sorte: Milorad Dodik
Der Krieg in Bosnien war 1995 durch den Dayton-Vertrag beendet worden. Er teilte das Land in zwei autonome Zonen. Die Serben erhielten den einen Teil als „Republika Srpska“. Dort errichtete ihr Führer Milorad Dodik ein persönliches Balkanfürstentum nach Art des alten Sizilien. Seine ständig gröberen Verletzungen des Dayton-Vertrags werden von niemandem im Westen gestoppt. Dodik, der heute Putins bester Mann auf dem Balkan ist, kann sich auf die Rückendeckung aus Belgrad verlassen. Präsident Aleksandar Vucic spielt die EU gegen Russland und China aus.
Diese Schaukelpolitik ändert nichts an der prekären Lage Serbiens. Der alte Traum von Groß-Serbien hat in einem Klein-Serbien geendet. Der Traum von einem serbischen Kosovo, der Wiege der serbischen Nation, aber mit heute 89 Prozent Albanern, ist noch immer lebendig und steht Serbiens Integration in Europa im Wege.
(Zurück in die Geschichte: In dem „großen Exodus der Serben“ mit dem Patriarchen 1690 aus Türkisch-Kosovo hatten die Serben in der Habsburgermonarchie eine Zuflucht gefunden. Im dortigen orthodoxen Exil-„Vatikan“ in Karlovci erinnert eine Widmungstafel Kaiser Franz Josephs auf Serbisch - die einzige dieser Art).
Wann verabschieden sich Serben von alten Träumen?
Die Serben waren einmal die besten Verbündeten der k.u.k.-Monarchie auf dem Balkan gewesen. Belgrad hat sich immer an Wien gemessen - zumindest als Versuch. Die Unabhängigkeitskriege vom Osmanischen Reich und die Balkankriege untereinander sowie der Russlandfaktor hatten die k.u.k.-Monarchie durch nicht sehr kluge Politik in die Fallstricke des Balkans verwickelt. Heute kann Serbien nur dann den Weg nach Europa einschlagen, wenn es sich endgültig von alten Träumen verabschiedet.
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