Mit der neuen Koralmdurchquerung, dem sechstlängsten Tunnel der Welt, verkürzt sich die Bahn-Fahrzeit Wien-Venedig auf sechs Stunden, Graz-Klagenfurt auf 45 Minuten.
Von Wien nach Klagenfurt in zwei Stunden und 40 Minuten – statt derzeit vier bis sechs Stunden. Von Wien nach Venedig in sechs statt zehn Stunden. Und von Graz nach Klagenfurt innerhalb einer Dreiviertelstunde – alles mit dem Zug. Derzeit braucht man von der steirischen in die Kärntner Landeshauptstadt drei Stunden per Bahn.
„Hier bauen wir Zukunft“, sagte Infrastruktur- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hör- und sehbar euphorisch bei der historischen Erst-Durchfahrt des noch in Bau befindlichen 33 Kilometer langen Koralmtunnels mit der „Krone“ – wir haben am Sonntag darüber berichtet. ÖBB-General Andreas Matthä, der sich als Covid-Kontaktperson wenige Stunden vor dieser Expedition in Quarantäne hatte begeben müssen, bedauerte, auf dieses einzigartige Erlebnis verzichten zu müssen – lässt sich aber seine Begeisterung für das, was hier im Süden für und bei den Bundesbahnen entsteht, nicht nehmen. „Dieser Meilenstein ändert das Verkehrssystem in der Nord-Süd-Richtung gewaltig.“
Was auf den sperrigen Titel „Baltisch-adriatische Verkehrsachse“ hört, diese Route von Südpolen bis Italien quer durch Österreich, das ist nach dem Brenner – wo noch ein paar Jährchen (Fertigstellung voraussichtlich 2032) an dem künftig mit 64 Kilometern längsten Tunnel der Welt gebuddelt wird – die zweitwichtigste Verkehrsroute durch die Alpen, wie Matthä betont, wesentlich bedeutender als die Gotthard-Strecke in der Schweiz. Kernstück dieser Schweizer Bahnachse ist der Gotthard-Tunnel, mit 57 Kilometern aktuell noch der längste der Welt.
Der neue Koralmtunnel muss sich da nicht verstecken. Mit seinen 33 Kilometern holt er sich weltweit Platz 6, wenn die Strecke im Dezember 2025 in Betrieb geht. Der Semmering-Tunnel folgt 2028 - frühestens. Durch die hochkomplexe Geologie des Berges zwischen Niederösterreich und der Steiermark gibt es bereits eine mehrjährige Verzögerung. Hält jetzt der Zeitplan? Matthä: „Ja, sofern uns der Berg gewogen bleibt. Wir hoffen, dass er nicht wilder wird, als er schon war, er hat uns schon vor ordentliche Herausforderungen gestellt.“
„Das letzte Abenteuer in Europa“
Tunnelbauen, das sieht der Kenner immer noch als eine ganz große Herausforderung. Matthä formuliert es prägnant: „Ich sage immer, das ist das letzte Abenteuer in Europa. Weil du kommst an einen Ort, wo noch nie ein Mensch war.“
Herausfordernd sind für die Bahnbauer freilich nicht nur die unterirdischen Strecken, sondern auch jene an der Oberfläche. Wie in Kärnten, wo auf der bestehenden Bahnstrecke entlang des touristisch hochgenutzten Wörthersee-Nordufers als künftige Verlängerung der Koralmbahn die Lärmbelastung für Anrainer und Feriengäste deutlich zunehmen wird. ÖBB-General Matthä versucht zu kalmieren, verweist auf die Unterstützung etwa beim Einbau von Lärmschutzfenstern, die bisher aber noch wenig in Anspruch genommen werde. Zudem wird auch die Strecke selbst mit Lärmschutz nachgerüstet, während auch die Güterwaggons vorschriftsmäßig noch bedeutend leiser werden müssen.
Neue Trasse nördlich des Wörthersees
Aber, auch das ist Matthä bewusst: „Man wird für die Güterzüge letztlich eine Güterzugtrasse brauchen. Die dann in Wirklichkeit nur durch den Berg geht. Das ist ein gewaltiges Projekt.“ Und, so viel scheint klar: auch ein sehr langfristiges.
Noch länger dauern dürfte es, um für den Bahn-Flaschenhals Bruck an der Mur–Graz eine echte Entlastung zu finden. Matthä: „Ja, dort ist es verdammt eng. Momentan sehen wir aber in den Simulationen, dass es sich gut ausgeht. Aber immer und ewig wird es nicht möglich sein.“
Und das andere Nadelöhr, der völlig veraltete Bosruck-Eisenbahntunnel zwischen Oberösterreich und der Steiermark auf der auch international immer stärker an Bedeutung gewinnenden Pyhrnstrecke – wann wird dieser ersetzt? Matthä: „Dort fangen im Grunde die Erstplanungen und die geologischen Erkundungen an.“
Video: Interview mit Ministerin Leonore Gewessler
Von Graz nach Salzburg über die neue Südroute
Im Personenverkehr wird sich für die Pyhrn-Selzthal-Route aber schon ab Eröffnung des Koralmtunnels einiges ändern. Denn die Züge zwischen Graz und Salzburg beziehungsweise weiter nach Deutschland und in den Westen werden dann nicht mehr via Bruck und Selzthal, sondern über die zwar nicht entfernungsmäßig, aber zeitlich um mehr als eine halbe Stunde kürzere Südroute über die Stationen Groß St. Florian (Weststeiermark)–St. Paul–Klagenfurt–Villach–Bad Gastein geführt. Die alte Route werde man jedoch, so wird versprochen, gleichzeitig mit verbessertem Nah-Interregio-Verkehr aufwerten.
Das wird für den Süden von Österreich eine großartige Weiterentwicklung der Infrastruktur. Wir sehen an der Weststrecke, was passiert, wie sich Regionen entwickeln.
Ministerin Gewessler
Hauptprofiteur der neuen Südstrecke werden freilich die Regionen an dieser neuen Bahnlinie im Süden sein. Wie sagte es Ministerin Gewessler nach der Koralmtunnel-Erstbefahrung mit der „Krone“? „Das wird für den Süden von Österreich eine großartige Weiterentwicklung der Infrastruktur. Wir sehen an der Weststrecke, was passiert, wie sich Regionen entwickeln.“
Südstrecke so komfortabel wie die Bahn-Weststrecke
Denn die lange vernachlässigte Südstrecke werde, so verspricht es die Infrastrukturministerin, „so schnell und komfortabel wie die Weststrecke“. Ganz ähnlich sieht es Bahn-General Andreas Matthä und verweist auch darauf, dass entlang dieser Verkehrsachse in Österreich 3,5 Millionen Menschen leben – ähnlich viele wie an der Westachse.
Zugfahren ist doch cool, geschenkte Zeit und für den Klimaschutz ein wesentlicher Beitrag.
ÖBB-CEO Matthä
Unter dem Eindruck der Erstbefahrung meinte die begeisterte Infrastruktur- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler: „In 45 Minuten von Graz nach Klagenfurt, das ist konkurrenzlos.“ ÖBB-CEO Matthä steht ihr in der Euphorie nicht nach: „Zugfahren ist doch cool, geschenkte Zeit und für den Klimaschutz ein wesentlicher Beitrag.“ Und auf den künftig dramatisch verkürzten 45-Minuten-„Hupfer“ von Graz nach Klagenfurt kommt der Bahn-Chef auch zu sprechen, wenn er einerseits darauf verweist, dass die Strecke so „im Prinzip zur Tagespendler-Destination“ werde. Und persönlich nachsetzt: „Da fahr ich einfach auf einen Kaffee an den Wörthersee.“
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