In Zeiten, in denen russische Raketen sogar auf ukrainische Reaktoren fliegen, kommt die Angst vor einer Nuklearkatastrophe wieder hoch: Ein Lokalaugenschein im AKW Zwentendorf in Niederösterreich, das nie in Betrieb ging.
Bevor wir in die konservierte Welt der späten 1970er-Jahre eintauchen, gibt uns EVN-Sprecher Stefan Zach wichtige Sicherheitstipps und witzelt: „Passt gut auf, wo ihr hinsteigt. Wir wollen ja nicht, dass es zu einem Reaktorunfall kommt!“ Im Jahr 2005 legte der niederösterreichische Energieversorger EVN 2,5 Millionen Euro für das damals schon zwanzig Jahre im Dornröschenschlaf dahinschlummernde AKW Zwentendorf auf den Tisch - und kaufte das monumentale Kernkraft-„Museum“ von seinen acht Eigentümern, darunter auch die Energie Steiermark.
Die konservierte Welt der späten 1970er-Jahre
Der Fußweg durch den Reaktor, der nie auch nur eine einzige Kilowattstunde Strom produzierte, gleicht tatsächlich einer Zeitreise in eine Ära, in der auch der rote Bundeskanzler Bruno Kreisky Atomkraft für das Allheilmittel gegen die Energie-Sorgen des Landes hielt. Drei baugleiche Atomkraftwerke sollten damals ganz Österreich mit Strom versorgen, Zwentendorf hätte ein Drittel des Energiebedarfs decken können. Die Errichtung der zwei anderen Meiler wurde nach dem Volksabstimmungs-Nein der Bevölkerung im November 1978 abgeblasen.
Am Eingang zum Innersten des AKW Zwentendorf hängen noch Schutzanzüge samt oranger Unterwäsche im 70er-Style, daneben gibt es einfache Duschen. Vor dem Heimgehen hätte sich die Mannschaft fröstelnd die Strahlung auf der Hautoberfläche abgewaschen - denn aus den Duschköpfen kam nur kaltes Wasser. Warmes öffnet die Poren und Radioaktivität wäre so in tiefere Hautschichten eingedrungen. Schnell gelangen wir in Reaktorbereiche, die in Betriebszeiten kein Kerntechniker jemals betreten hätte können, denn die Strahlung wäre viel zu groß gewesen.
Zwentendorf steht für permanentes Scheitern
„Zwentendorf hat nie Atomkerne gespalten, dafür Menschen und Meinungen“, sagt Historiker Zach. „Und es ist das einzige Atomkraftwerk weltweit, das fertig gebaut, aber nie in Betrieb genommen wurde. Damit steht das AKW für ein permanentes Scheitern.“ Umgerechnet 500 Millionen Euro wurden für den Bau versenkt. Danach wurde Zwentendorf bis 1985 in „Konservierungsbetrieb“ versetzt - das heißt, 200 Beschäftigte hielten das Bauwerk so in Schuss, dass ein einfacher Knopfdruck für das Hochfahren gereicht hätte. Dieser Modus verschlang noch einmal eine halbe Milliarde Euro.
Zwentendorf hat nie Atomkerne gespalten, dafür Menschen und Meinungen.
EVN-Sprecher Stefan Zach
Das AKW ist auch als Drehort gefragt
Das Steuerzentrum mit unzähligen Schaltern erinnert uns an Bilder aus dem 1986 in die Luft geflogenen Tschernobyl-Reaktor. Im Herzen der Kommandostation leuchtet uns ein roter Knopf entgegen - durch Drücken hätte die Bedienmannschaft bei einem Zwischenfall Alarm ausgelöst. War man sich der Gefahr eines Super-GAUs bewusst? „Es gab sicher Alarmpläne dafür“, sagt Zach - und nimmt den Hörer des obligatorischen roten Telefons in die Hand. „Das war eine Standleitung direkt ins Bundeskanzleramt.“ „Hätte Kreisky selbst abgehoben?“, wollen wir wissen. „Vermutlich“, antwortet unser AKW-Führer knapp.
Heute hat sich Zwentendorf mit seiner Vergangenheit versöhnt. Die EVN produziert am Areal sauberen Strom aus Sonnenenergie, die Location wurde für Partytiger und Kernkraftwerksmitarbeiter zu Schulungszwecken geöffnet, zudem ist das AKW, das nie eines war, beliebter Drehort für Filme.
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