Mit einer via Internet verbreiteten Darstellung, wonach alle Trachtenträger gleichsam „illegale Nazis“ seien, löste eine Wiener Arbeiterkammerrätin gehörige Aufregung im so auf seine Traditionen bedachten Österreich aus. Die „Krone“ hat mit Experten gesprochen, wie Politik, Brauchtum und Mode zusammenspielen.
Denn mit ihrem rasch gelöschten Einwand (doch das Internet vergisst nie), dass Trachtenanzug bzw. ein Dirndl ein „legaler Code für illegale Nazis“ sei, hat die ÖBB-Betriebsrätin, offenbar ohne viel nachzudenken, einiges verwechselt. Schließlich hat sie Politik, Brauchtum und Mode in einen Topf geworfen und daraus den absurden Nazi-Dresscode erstellt.
Eine Behauptung, die selbst SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner mit Ex-Finanzminister Hannes Androsch (Bild oben) Lügen strafte. Bei einem Bad Ausseer Empfang mengten sich beide Sozialisten unter die Gäste: in schmuckem grünem Dirndl und feschem Trachtenanzug samt Hornknöpfen. Auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger zeigte Bilder von sich im Ausseer-Dirndl in den sozialen Medien, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) wurde im Wahlkampf 2019 von Trachten-Ikone Gexi Tostmann unterstützt.
Eine Tracht ist etwas Außeralltägliches. Sie hat mit Freude und Abwechslung zu tun. Sie kann über alle Schichten hinweg Vergnügen bereiten.
Universitätsprofessor Dr. Roland Girtler, Soziologe und Kolumnist der „Krone bunt“
Dass die rote Kammerrätin mit ihrer Ansage einen Sturm im Wasserglas ausgelöst hat, liegt für Univ.-Professor und „Krone bunt“-Kolumnisten Roland Girtler auf der Hand: „Die Tracht ist etwas Außeralltägliches. Sie zeigt den Wunsch, Freude und Abwechslung auszudrücken. Gleichzeitig spiegelt eine Tracht auch den Wunsch wider, sich vom Umfeld abzuheben. Wobei man sich durchaus freut, wenn Fremde eine Lederhose oder ein Dirndl tragen.“
Auch zeithistorisch gesehen greifen sich viele ob der flapsigen „Nazi-Trachten“-Doktrin auf die Stirn. Allein wenn man das Familienalbum des Staatsvertragsaußenministers Leopold Figl durchblättert, trägt dieser auf zig Fotos Tracht. Und dass der von Hitler ins KZ deportierte ÖVP-Jahrhundertpolitiker alles andere als ein Nazi war, ist wohl jedem klar.
Wäre eine Tracht tatsächlich ein legaler Code für illegale Nazis, so würden Sie mich nie und nimmer in einem Trachtenanzug sehen.
Karl Habsburg, Oberhaupt der Adelsfamilie
Blickt man weiter in die Geschichte zurück, so war Kaiser Franz Joseph in seinem Bad Ischl (OÖ) oder bei der Jagd im steirischen Mürzsteg gerne in Lederhose unterwegs. Auch für Karl Habsburg ist deshalb die Behauptung, dass unter einer Tracht - heute übrigens von vielen Adeligen getragen - das Herz eines illegalen Nazis pocht, eine Absurdität.
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