Große Notarzt-Krise

„Was Fachleute befürchtet haben, ist eingetreten“

Steiermark
15.07.2022 16:25

Die Steiermark leidet an einer notärztlichen Unterversorgung, zwei Todesfälle rütteln auf. Experten warnen schon lange, haben aber auch Lösungsvorschläge parat. Die Entscheidungsträger brauchen nun Reformwillen.

Die Notarzt-Krise erhitzt in der Steiermark weiterhin die Gemüter. „Was Fachleute befürchtet haben, ist eingetreten!“, brachte es Gerhard Prause, selbst Notfallmediziner und im Vorstand der „Arbeitsgemeinschaft für Notfallmedizin“ (AGN) tätig, in einem Leserbrief an die „Krone“ auf den Punkt.

Gerhard Prause (Arbeitsgemeinschaft für Notfallmedizin) (Bild: Sissy Furgler Fotografie)
Gerhard Prause (Arbeitsgemeinschaft für Notfallmedizin)

Was der Experte vorschlägt
Auf Nachfrage hat der Experte mehrere Lösungsansätze für die aktuelle Krise parat, die sein Verein demnächst auch als Konzept zu Papier bringen wird: „Der Notarztdienst muss wieder voll in den Spitalsdienst integriert werden. Das geht aber nur, wenn man die Fehleinsätze reduziert und die Ausbildung der Sanitäter so umstellt, dass diese mit den notwendigen Geräten umzugehen lernen.“

Seit 1. Juli sind die Spitäler der Kages nur noch werktags von 7 bis 15 Uhr zur Abstellung des Notarztes verpflichtet. Die restliche Zeit muss auf freiwilliger Basis von Medizinern übernommen werden. Das führte in den vergangenen Wochen mehrfach dazu, dass an manchen Stützpunkten kein Notarzt verfügbar war. Spitze des Eisbergs: 2 Tote!

„Die Einsatzzahlen explodieren“
Auf ohnehin schon zu wenige Notärzte kommen zudem viele unnötige Einsätze. „Die Notarzteinsatzzahlen explodieren“, so Prause. „Dabei braucht man bei der Hälfte der Fahrten überhaupt keinen Arzt.“ Erst recht nicht, wenn man Sanitäter mit mehr Kompetenzen ausstatten würde. Auch diverse Vorschriften müssten dringend auf ihre Sinnhaftigkeit geprüft werden. So muss in der Stadt Graz zu jedem Brandeinsatz ein Notarztwagen mitgeschickt werden. Dabei gibt es nur bei jedem 50. Einsatz Opfer zu betreuen.

Fakten

  • Ein Ende der notärztlichen Unterversorgung ist vorerst nicht in Sicht. Im Juli können von 600 geplanten Diensten in etwa 30 nicht besetzt werden (fünf Prozent). Das betrifft vor allem die Bezirke Liezen, Hartberg und Weiz. Dort gibt es nicht nur mit der Besetzung an den Wochenenden Probleme, teilweise sind auch unter der Woche keine Notärzte verfügbar.
  • Laut Klaus Pessenbacher, Koordinator der Notfallmedizin, kommen momentan mehrere Faktoren zusammen: Einerseits wurde der Kader der Notärzte in den vergangenen Jahren durch eine Pensionierungswelle ausgedünnt. Einige Aktive müssten zudem angesammelte Urlaubstage abbauen. Das Fass zum Überlaufen bringen schließlich aktive Covid-Absonderungen.
  • Erst im Herbst sei mit einer Entspannung zu rechnen. „Ich bin trotzdem optimistisch, dass wir gut über den Sommer kommen“, so der Notarzt-Koordinator.

Eine umfassende Reform des Indikationskatalogs - hier wird festgelegt, unter welchen Umständen die Leitstelle einen Notarztwagen ausschickt - sei unumgänglich. Diese Maßnahme könnte rasch durchgeführt werden, würde die Zahl der Einsätze senken und somit Kapazitäten schaffen.

Peter Hansak (Rotes Kreuz), Notärzte-Koordinator Klaus Pessenbacher und Harald Eitner (Leiter der Katastophenschutz-Abteilung) (Bild: Christian Jauschowetz)
Peter Hansak (Rotes Kreuz), Notärzte-Koordinator Klaus Pessenbacher und Harald Eitner (Leiter der Katastophenschutz-Abteilung)

Helikopter in der Nacht: „Reine Kosmetik“
Eine am Dienstag beschlossene Maßnahme sei hingegen reine Kosmetik: die nächtliche Starterlaubnis für einen zweiten Rettungshubschrauber. „Helikopter sind in vielen Bereichen eine notwendige Ergänzung, aber kein primärer Ersatz für einen Notarztwagen“, so Prause. Für die kommenden Monate malt der Experte aber weiterhin ein düsteres Bild: „Einige Regionen werden viel Zeit brauchen, bis alles wieder aufgebaut ist.“

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