Sie muss die größte Energiekrise seit den Siebzigerjahren managen - und das bei sinkendem Vertrauen der Bevölkerung. Mit der „Krone“ spricht die grüne Energieministerin Leonore Gewessler über ihre Sisyphusaufgabe, den „Worst Case“ und wie wir uns darauf vorbereiten.
Das hässliche Bundesamtsgebäude in der Wiener Radetzkystraße ist von 400 Fahrradabstellplätzen umsäumt, seit Leonore Gewessler Umweltministerin ist. „Ich selbst habe auch gerade ein neues Dienstrad bekommen“, erzählt sie bei unserem Treffen vor dem Ministerium ganz stolz, sie hat es oben in ihrem Büro geparkt. Von hier spazieren wir hinunter zum Donaukanal, wo sie später auf einem Stein sitzend ruhig und entspannt in die Kamera des „Krone“-Fotografen lächelt und Vorbeiradelnden versichert, dass sie keine Rücksicht nehmen müssen. Es hat 32 Grad, aber ein leichter Wind macht die Hitze erträglich.
„Krone“: Energieministerin in der größten Energiekrise seit Jahrzehnten zu sein, wie fühlt sich das für Sie im Moment an?
Leonore Gewessler: Es ist eine äußerst intensive und belastende Zeit - für uns alle. Wir haben ja nicht nur die Energiekrise, sondern auch den Krieg und die damit verbundene Teuerung. Ich habe eine Aufgabe übernommen, die mich sehr fordert. Man steht so unter Strom, dass man kaum mehr Zeit hat, innezuhalten und einmal durchzuschnaufen. Es ist eine Rund-um-die-Uhr-Aufgabe, nicht nur für mich, sondern für mein ganzes Team. An dieser Stelle gleich ein großes Dankeschön an alle, die seit Monaten unter Hochdruck im Krisenmanagement arbeiten.
Dieses Krisenmanagement wird von der Bevölkerung sehr kritisch gesehen.72 Prozent der Österreicher sind laut einer Umfrage für das Nachrichtenmagazin „profil“ der Meinung, dass die Regierung nicht genug tut, um Österreich auf die steigenden Energiepreise und eine mögliche Gasknappheit vorzubereiten.
Wir haben tatsächlich einen Vertrauensverlust in die Politik, der enorm ist. Das macht auch mir große Sorgen. Es betrifft aber nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Oppositionsparteien. Dieser Vertrauensverlust ist ein Handlungsauftrag an alle. Wir haben natürlich von Anfang an einen klaren Plan verfolgt, wie wir mit dieser Krise umgehen. Raus aus der Abhängigkeit, rein in die Erneuerbaren. Versorgungssicherheit mit anderen Lieferländern schaffen, Gasspeicher zu 80 Prozent füllen. Das schaffen wir aber nur gemeinsam.
Was denken Sie sich, wenn die SPÖ-Vorsitzende sagt, dass die Regierung planlos, mutlos und hilflos ist?
Wir arbeiten seit Monaten daran, diese Krise zu meistern. Terrawattstunde für Terrawattstunde, Maßnahme für Maßnahme. Das ist eine komplexe Situation, in der es keine einfachen Lösungen gibt. Wir alle müssen uns darauf einstellen, dass das schwierig wird und auch noch eine Zeitlang schwierig bleiben wird. Da brauchen wir alle konstruktiven Kräfte an Bord. Diesen Kraftakt können wir nicht alleine stemmen. Für Kritik soll man immer offen sein, aber es wäre zielführender, etwas zur gemeinsamen Problemlösung beizutragen als in dieser Krise kurzsichtige Parteipolitik zu machen.
Wir arbeiten seit Monaten daran, diese Krise zu meistern. Terrawattstunde um Terrawattstunde. Jetzt ist ein großer Schritt gelungen.
Energieministerin Leonore Gewessler über ihre Mammutaufgaben
Als gemeinsame Problemlösung schlagen nicht nur die Opposition, sondern auch Teile der ÖVP einen Preisdeckel auf Strom und Gas vor. Warum wird das nicht umgesetzt?
Der europäische Strommarkt braucht einheitliche Regelungen. Ein Alleingang führt nur dazu, dass wir in Österreich den billigen Strom für Konzerne aus dem Ausland bezahlen. National gibt es smartere Lösungen. Ich halte den Vorschlag vom Wifo für sehr gut. Nämlich den Haushalten einen Teil der Kosten für den Stromverbrauch in Form einer Gutschrift zu subventionieren. Für den Rest zahlt man den höheren Marktpreis und wird so motiviert, Strom zu sparen. Wer also Energie verschwendet, wird dafür nicht belohnt, aber die Hilfe kommt bei den Haushalten an. Ich habe die Expertinnen und Experten im Klimaschutzministerium beauftragt, die Details zu erarbeiten.
Wie sieht es denn jetzt mit dem Gas aus? Müssen wir im Winter frieren?
Wir haben in Österreich das Instrument der Energielenkung. Sie ermöglicht uns, bei Gasknappheit bei den Großverbrauchern einzugreifen und somit sicherzustellen, dass die Wohnungen warm bleiben. Am Donnerstag ist ein wirklich großer Schritt gelungen. Gemeinsam mit der OMV haben wir Transportkapazitäten für 40 Terrawattstunden gesichert, das sind 45 Prozent des österreichischen Gasverbrauchs. Und das ist eine massive Reduktion der Abhängigkeit von Russland. Es wird Gas aus Norwegen, aus Rotterdam und aus Italien nach Österreich fließen.
Wenn Russlands Staatschef Wladimir Putin nach der Wartung der Pipeline Nord Stream I kein Gas mehr schickt, wird es dann Rationierungen geben und müssen auch die Privathaushalte etwas beitragen?
Wir arbeiten alle daran, dass wir dieses Szenario verhindern. Aber ehrlicherweise kann keiner sagen, was am 21. Juli passiert. Es kann weiterhin Gas kommen, es kann weniger Gas kommen oder gar keines mehr. Sicher ist nur, dass man sich auf Putin nicht verlassen kann. Und dass das eine Zeitenwende ist und dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Deshalb werden wir den Großabnehmern vorschreiben, sich technisch zu rüsten, um von Gas auf andere Energiearten umzustellen. Klar ist: Bei Gasrationierungen haben die Haushalte Vorrang. Es soll niemand in unserem Land frieren.
Die EU hat bereits angekündigt, öffentliche Gebäude nur noch bis 19 Grad zu heizen. Ihr deutscher Kollege Robert Habeck meinte, man sollte nur noch kalt duschen …
Ich glaube, er hat gesagt, man sollte kürzer duschen. Natürlich ist Energiesparen gescheit, und das machen ja auch schon ganz viele Menschen. Sie nehmen Energie als etwas Wertvolles wahr, mit dem man sorgsam umgeht. Da kann jeder einen Beitrag leisten. Nicht die, die sich ohnehin schon jeden Kubikmeter Gas vom Mund absparen, die meine ich damit nicht. Aber alle, die noch einen Beitrag leisten können, sollen das bitte tun. Gas ist kostbar, Gas ist knapp. Deshalb: Heizkörper entlüften, Therme warten, die Heizung gescheit einstellen, das alles spart Gas. Und alles, was wir sparen, hilft uns, länger durchzukommen, wenn das schlimmste Szenario in Kraft tritt: Russland liefert nicht mehr.
Ehrlicherweise kann keiner sagen, was am 21. Juli passiert. Klar ist: Sollte es zu Gasrationierungen kommen, haben die Haushalte Vorrang.
Gewessler über mögliche Szenarien bei einem Lieferausfall Russlands
Es wird jetzt sogar ein Kohlekraftwerk aufgesperrt, die Industrie stellt zum Teil auf Öl um, da müssten die Grünen doch weinen …
Ja, aber das ist jetzt eben notwendig. Und wir bringen auch gerade ein Beschleunigungspaket auf den Weg, damit der Erneuerbarenausbau schneller geht. Jedes Windrad, jedes Wasserkraftwerk, jedes Fotovoltaikpaneel, jede Gasheizung, die getauscht wird, hilft. Nur das bringt uns langfristig raus aus dem Zittern, aus der Abhängigkeit, aus dem Wissen, dass Russland kein verlässlicher Partner mehr ist.
Diese Woche war der deutsche grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck auf Besuch. Er wird in Deutschland sehr gelobt für seine ehrlichen Worte in der Krise. Sind Sie nicht ein bisschen eifersüchtig?
Nein, im Gegenteil. Ich freue mich, dass in Deutschland wie bei uns die Grünen mitregieren. Und dass wir uns gegenseitig unterstützen und in der Krise zusammenarbeiten.
Aber in Österreich stürzen die Grünen in Umfragen ab, während sie in Deutschland auf einem Höhenflug sind. Wie erklären Sie sich das?
Wir sind politisch, - auch durch die Kanzlerwechsel, die Situation der ÖVP und die Vorwürfe, die da im Raum stehen, - in einer ganz anderen Situation. Trotzdem haben wir in den letzten Monaten in der Regierung viel auf den Boden gebracht. Vertrauen bildet sich immer im konkreten Tun. Das war immer mein Anspruch an Regierungsarbeit. Ich sitze nicht da, weil das schon mein Plan war, als ich fünf Jahre alt war. Sondern weil ich in diesem Land für die Menschen was verändern will. Und solange das geht, und das tut es, macht es für mich Sinn.
Ich habe eine Aufgabe übernommen, die mich sehr fordert. Man steht so unter Strom, dass man kaum mehr Zeit hat innezuhalten.
Die Energieministerin über ihre Arbeit
Wollen die Grünen um jeden Preis in der Regierung bleiben?
Es gibt für mich ein Szenario, bei dem diese Zusammenarbeit gefährdet wäre. Wenn man sich auf nichts mehr einigen könnte und wenn nichts mehr weitergeht. Aber das sehe ich nicht. Wir bringen viel weiter.
Die SPÖ schmiedet bereits Pläne für die Zeit nach Türkis-Grün. Da sollen dann drei Frauen an der Spitze stehen, eine davon sind Sie als neue Grünen-Chefin.
Ich habe es auf der „Krone“-Titelseite gesehen, aber momentan beschäftigen mich wirklich ganz andere Dinge. Wie kriegen wir Gas in unsere Speicher? Wie werden wir unabhängig von Russland? Wie kommen wir gut durch den Winter? Wir haben einen super Parteichef, der heißt Werner Kogler. Ich hoffe, er wird schnell wieder gesund und bleibt noch lange Parteichef.
Es gibt für mich ein Szenario für das Ende der Koalition: Wenn nichts mehr weitergeht. Aber das sehe ich nicht. Wir bringen viel weiter.
Gewessler über die Zusammenarbeit mit der ÖVP
Wie geht es ihm nach seiner Corona-Erkrankung?
Schon besser. Ich habe ihn die letzten Tage in Ruhe gelassen, damit er sich erholen kann. Jetzt arbeitet er schon wieder von zu Hause aus.
Hatten Sie schon Corona?
Ja, vor zwei Monaten. Ich bin wirklich froh, dass ich es hinter mir habe. Milder Verlauf, aber ganz ehrlich gesagt hätte ich es mir gerne erspart. Ich hatte relativ hohes Fieber und Gliederschmerzen und alles, was sonst noch dazugehört. Aber es gibt so viele Menschen, die gerade dasselbe durchmachen, insofern: Gute Besserung an alle!
Seit zwei Jahren führen Sie nun ein Superministerium, verantwortlich für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Fühlen Sie sich nie überfordert?
Sicher nicht. Das Ministerium hat jetzt einen Schwerpunkt und der heißt Energie. Das beschäftigt mich über 90 Prozent meiner Zeit. Als wir das Klimaticket eingeführt haben, lag der Schwerpunkt auf dem Verkehr. Wenn ein Großprojekt ansteht, ist es die Umwelt. Wichtig ist, sich selbst unter großem Druck manchmal rauszunehmen und einfach zwei Stunden an die frische Luft zu gehen, wie wir beide jetzt. Ich mache das am Wochenende regelmäßig mit meinem Mann.
Geboren am 15. September 1977 als Tochter eines Landarztes in Graz, eine jüngere Schwester. Studium der Politikwissenschaften. 2006 fängt sie als Büroleiterin des Grünen-Büros in Wien-Neubau an. 2008 bis 2014 ist sie in Brüssel bei der Green European Foundation des Europäischen Parlaments, die sie als Direktorin mitgegründet hat. Ab 2014 leitet sie fünf Jahre lang die Umweltorganisation Global 2000. Seit 2019 Parteimitglied bei den Grünen, seit Jänner 2020 Umweltministerin. Verheiratet mit Herbert Greisberger, Geschäftsführer der Energie- und Umweltagentur NÖ, keine Kinder.
Was gibt Ihnen bei Ihrer Sisyphusarbeit und in dieser schweren Zeit Zuversicht?
Dazu möchte ich eine kurze Geschichte erzählen. Beim Rat der Umweltministerinnen berichtete uns der ukrainische Kollege von untragbaren Zuständen in seinem Land, und während wir ihm zugehört haben, ist plötzlich der Fliegeralarm auf seinem Handy losgegangen. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. In solchen Momenten wird einem die Dimension des Krieges bewusst. Und alle unsere Mammutaufgaben erscheinen gleich viel kleiner.
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