Einen schönen Freitagabend.
Mein Gott, wie die Zeit vergeht - das ist so ein Satz, den bevorzugt Personen von sich geben, die schon einiges davon verbraucht haben. Wie ich. Es war gefühlt erst vor Kurzem, dass ich, auf dem Schoß meiner Mutter sitzend, den kleinen Hügel in Liesing heruntergerodelt bin, auf unserem Hörnerschlitten aus Holz. Sie werden es schon ahnen, es ist freilich länger her, mittlerweile wiege ich 90 Kilo, meine Mutter wäre platt wie eine Flunder. Ich war ein Kind, und heute gibt es weder den Hügel noch Schnee im Winter. Wo einst die Anhöhe war, steht jetzt eines dieser Häuser mit ganz viel Glas, aus denen Kinder traurig auf andere Häuser mit ganz viel Glas schauen, weil es weit und breit nichts zu spielen gibt. Wer noch einen alten Schlitten hat, wird ihn im Winter verheizen.
Und so ist auch der bisherige Sommer für mich rasend schnell vergangen, ein Wimpernschlag. Dabei ist viel passiert. Bürgermeister Michael Ludwig hat den falschen Klitschko per Videokonferenz getroffen, sie haben sich prächtig unterhalten. Aufgefallen ist es Ludwig nicht, vermutlich wollte der Fake-Klitschko sowieso Michael Häupl sprechen. Die Wiener Politik als Verwechslungskomödie. Bundeskanzler Karl Nehammer hat gegen die Krise Crystal Meth und Antidiarrhoika empfohlen - oder waren es Alkohol und Psychopharmaka? Egal, es gehört schon eine Überdosis Umnachtung dazu, überhaupt solche Vorschläge auszusprechen. Österreichs Innenpolitik im Delirium tremens. Dann lese ich in „Heute“, dass Klimaministerin Leonore Gewessler zum Energiesparen aufruft und empfiehlt, wärmeres Bier zu trinken. Ich trinke ja prinzipiell gar kein Bier, aber wenn es hilft.
Die SPÖ wiederum kämpft mit allen Mitteln gegen die Teuerung, während der rote Bürgermeister Ludwig die Gebühren in Wien zum zweiten Mal erhöht, die Preise für Fernwärme verdoppelt werden und die Mieten steigen. Auch das erinnert mich an ein Erlebnis von früher. Ich erzähle es kurz, es ist bald Wochenende, wir haben hoffentlich Zeit. Der Vorfall ereignete sich auf meiner Maturareise, ich hatte noch das ganze Leben vor mir, Sie kennen diese Illusionen vielleicht. Noch lange vor Nehammers Krisensauftipp habe ich in meinem jugendlichen Leichtsinn zu tief ins Glas geschaut. Bacardi Cola, fragen Sie nicht. Ich wankte auf Gran Canaria durch die Straßen, die Schulkollegen, die man noch nicht gendern musste, obwohl es durchaus mehr als ein Geschlecht gab, damals zwei, hatte ich aus den halb geöffneten Augen verloren. Da stupsten mich zwei Männer an, und übergaben mir meine Geldtasche, die ich kurz zuvor in der Gesäßtasche getragen hatte. Ich bedankte mich überschwänglich, wie nett, es gibt ja doch noch freundliche Menschen, vermutlich winkte ich, als sie gingen. Ich sah in das Börsl, und es war leer. Die beiden hatten mich bestohlen. 2022 sieht das gleiche Konzept so aus: Gebühren für alle erhöhen und einigen wenigen Einmalzahlungen reichen. Danke, wie nett, es gibt ja doch noch freundliche Menschen.
Und jetzt die Sache mit der Quarantäne - abgeschafft. Wer mit Corona infiziert ist, darf womöglich bald zur Arbeit, ins Kino, ins Restaurant. Sie müssen nur die Maske tragen, was in den Wiener Öffis ja schon hervorragend funktioniert. Es ist noch gar nicht lange her, da durfte niemand in die Disco, weil man sich sonst mit Covid angesteckt hätte, jetzt werden Ansteckende offiziell auf die Tanzfläche gebeten. Türstehergespräche im dritten Jahr Pandemie: „Ist hier die Coronaparty?“ - „Nein, heute ist Affenpockenabend.“
Auf Twitter rastete Gesundheitsminister Johannes Rauch dann ein bisschen aus. Er habe nicht die Zeit, medizinwissenschaftliche Quellen dazu zu verlinken, schimpfte er: „Ich bin - ernsthaft - nicht ganz so bescheuert, wie viele mich hier halten.“ Dann zog er sich trotzig zurück. Erinnern Sie sich noch, als nach Rudolf Anschober alle ganz euphorisch waren: Endlich zieht mit Wolfgang Mückstein ein Mediziner ins Ministerium. Und danach, als es hieß: endlich wieder ein Politiker. Tja. Meine Hoffnung: Auch Rauch ist Deepfake.
Ich wünsche einen schönen Sommer, so Sie einen haben.
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