Kern zu Energiekrise:

„Man muss langsam die Geduld verlieren“

Politik
19.08.2022 22:44

Der ehemalige Bundeskanzler und Energieexperte Christian Kern (SPÖ) sieht angesichts der sich weiter verschärfenden Energiekrise im Land dringenden Handlungsbedarf. Gerade im Ausbau von Alternativen - vor allem bei erneuerbarer Energie - agiere man hierzulande noch immer viel zu zögerlich. Stattdessen klebe man momentan nur „Pflaster auf einen offenen Rippenbruch“, so Kern.

Eine Entspannung bei den Energiepreisen ist weiterhin nicht in Sicht - nicht zuletzt die Ankündigung Russlands, die so wichtige Gas-Pipeline Nord Stream 1 erneut für Wartungsarbeiten vom Netz zu nehmen, dürfte das Preisfeuerwerk wohl weiter anheizen. Die dramatischen Entwicklungen im Energiesektor lassen dabei Ex-Kanzler Kern im Interview mit der ORF-„ZiB 2“ am Freitag nicht kalt. 

„Massiver Kahlschlag in Industrie“
Wir hätten es momentan nicht nur mit einem Phänomen zu tun, das den gesamten Wohlstand zerstört, „sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, sah Kern dabei Feuer am Dach. Im Großhandel gebe es etwa für Strom um 1000 Prozent höhere Preise als im Jahr zuvor. Das Ergebnis sei eine Inflation „wie schon lange nicht mehr gesehen“ - Kern fürchtet, dass dies auch in der Industrie zu einem „massiven Kahlschlag“ führen werde. 

In der Energiebranche habe man „den Bock zum Gärtner“ gemacht, so Kern. (Bild: Screenshot tvthek.orf.at/ZiB 2)
In der Energiebranche habe man „den Bock zum Gärtner“ gemacht, so Kern.

Auf diese Entwicklung nicht zu reagieren sei „höchst fahrlässig“, begrüßte er etwa die Überlegungen eines Stromrechnungsdeckels. Dies sei jedoch nur eine kurzfristige Maßnahme. Man müsse vielmehr „wieder anfangen, strategisch zu denken“, mahnte Kern.

Strompreise nachhaltig senken
Als alternativen Lösungsansatz schlägt er etwa vor, die Strompreis-bestimmenden Gaskraftwerke mit staatlich finanziertem Gas zu stützen. Auf den Einwand vieler Kritiker, dass von einer so erzielten Preissenkung auch Nachbarländer profitieren würden, rief er dabei das Beispiel Deutschland in Erinnerung - dort hat man erst vor wenigen Jahren die Kapazitäten für Export-Strom gekürzt. „Das kann man machen“, so Kern. 

So entscheidet sich der Strompreis

Derzeit wird der Preis für die Megawattstunde Strom an der Strombörse durch ein spezielles Auktionsverfahren, die sogenannte Merit-Order, ermittelt. Das bedeutet, dass das teuerste Kraftwerk, das zur Deckung der Stromnachfrage benötigt wird, den Preis bestimmt. Selbst wenn 100 Prozent Strom aus Wasserkraft generiert wird, sind die Unternehmen an diesen Großhandelspreis gebunden. Derzeit sind die Gaskraftwerke am teuersten, was wegen des aktuell sehr hohen Gaspreises zu einer starken Verteuerung von Strom geführt hat.

Über kurz oder lang führe jedoch kein Weg daran vorbei, auf erneuerbare Energiequellen umzusatteln. Die Energiekonzerne würden derzeit in Übergewinnen schwimmen, aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzulande aber vor allem im Ausland investieren, kritisiert Kern. 

„Pflaster auf offenen Rippenbruch“
Man müsse nun langsam „die Geduld verlieren“, „wir sind immer noch viel zu zögerlich“, sah er nicht nur dringenden Handlungsbedarf in der Regierung in der aktuellen Situation, sondern auch auf langfristiger Ebene: „Wir kleben Pflaster auf einen offenen Rippenbruch“, forderte er einen nachhaltigen Plan, um sich von der Abhängigkeit von Russland zu lösen.

Er selbst habe auch seinen Beitrag zur Abhängigkeit von Russland geleistet, gestand Kern ein - dies habe sich nun als Fehler erwiesen. (Bild: Screenshot tvthek.orf.at/ZiB 2)
Er selbst habe auch seinen Beitrag zur Abhängigkeit von Russland geleistet, gestand Kern ein - dies habe sich nun als Fehler erwiesen.

„Wladimir Putin spielt mit uns“, der russische Präsident habe eine Freude zu sehen, was er mit Aktionen wie der Verknappung der Gaslieferungen auslösen könne, mahnte Kern zum Durchhalten in der Krise.

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