Live in der Arena

Tash Sultana: Gegen alle Normen des Chart-Pop

Wien
30.08.2022 06:01

Mit Corona-Verspätung begeisterte Australiens Multitalent Tash Sultana Montagabend vor restlos ausverkauftem Haus in der Wiener Arena. Beim Open-Air-Konzert zeigte sich die 27-Jährige in guter Form und verzauberte die anwesenden Fans mit einer eklektischen Melange aus unterschiedlichen Stilen, Themen und Songstrukturen. Da bleibt kein Platz für Kalkül und Marketingstrategien.

Tash Sultanas Österreich-Premiere war einst gleich eine doppelte. Das Open-Air-Areal der Arena wurde im Juli 2019 zweimal bis zum letzten Platz gefüllt, Sultana überzeugte mit eklektischem Sound, einer hippieesken Bühnenshow und unheimlich viel Spielfreude. Etwas mehr als drei Jahre später gibt es ein einmaliges, natürlich wieder ausverkauftes Wiedersehen, und dazwischen ist viel passiert. Anfang 2021 erschien das zweite Album „Terra Firma“, Anfang 2022 wurde die bislang massivste und längste Tour gestartet und irgendwann mittendrin musste Sultana ihr größtes Tief durchstehen. „Ich war an meinem absoluten Tiefpunkt angelangt, aber was auf der anderen Seite wartet, dass ist all die Probleme wert, die man durchtauchen muss. Als ich jünger war, hatte ich einen Traum und diesen Traum lebe ich hier - ihr seid ein Teil davon.“

(Bild: Andreas Graf)
(Bild: Andreas Graf)

Eigene Soundwelt
Erst im Schlussdrittel geht sie mit dem Publikum in Interaktion, ansonsten bekommt die Musik den Vortritt. Eine gute Idee, denn Tash Sultana hält in einer Welt der schablonierten Charts-Hits und redundanten Beat-Stafetten die Fackel der echten Musik am Leben. Gitarre, Mini-Schlagzeug, Keyboard und Bass kommen im Minutentakt in der Reihe, werden durch die Loop-Station gejagt und sorgen somit für ein repetitives Soundvergnügen, das niemals langweilig wird. Während die Gitarre lässig auf ihrem Rücken baumelt, setzt sie Saxofon oder Flöte ein, um als One-Person-Show mit psychedelischen Videoeinlagen und kunterbunten Lichteffekten zu überzeugen. Die Fans sind von der ersten Minute an voll dabei und fließen an, in die ganz eigene Soundwelt Sultanas, die irgendwo zwischen Weltmusik, Reggae, Pop, Soul, Jazz, Lounge, Mariachi und Surfer-Indie zu verorten ist. Ein Farbenspiel ohne deutschblonden Popschlager-Mief.

(Bild: Andreas Graf)
(Bild: Andreas Graf)

Links und rechts vorne am Bühnenrand stehen zwei Podeste, auf denen sich die 27-Jährige nahe dem Publikum inszenieren kann und die hemdsärmelige Magie auf ihre Fans überleitet. Das Gros der Anhängerschaft ist im Birkenstock-Segment zu verordnen, die Gerüche von Räucherstäbchen und bewusstseinsverändernden Sportzigaretten halten sich die Waage. Sultana steht in einer Welt der Kriege, Umbrüche und Verschiebungen für fast schon vergessen geglaubte Ideale wie Frieden, Gemeinschaftlichkeit und Zusammenhalt. Nicht totzukriegende Ideale, die gar nicht ausgesprochen werden müssen, weil sie in einer nonverbalen Co-Union rundum als selbstverständlich erachtet werden. Zwischen den instrumentalen Irrsinnsabfahrten, Loops und Soli bleibt vor allem bei den neueren Songs viel Raum für dicke Beats, dazwischen animiert Sultana das Publikum mit sportlichem Gehüpfe im Sinne eines erfolgreichen EDM-DJs.

(Bild: Andreas Graf)
(Bild: Andreas Graf)

Kein Durchschauen möglich
Die Songs greifen nahtlos ineinander, der erste Gesang setzt erst nach einer guten Viertelstunde ein. Bis sich Sultanas dreiköpfige Band unterstützend einreiht, ist ein Drittel des Konzerts vorüber. „Big Smoke“, „Mystik“ oder „Pretty Lady“ rauschen einer endlosen Jam-Session gleich durch die Gehörgänge und wissen mit ihrer kompositorischen Genialität und der fühlbaren Spontanität zu überzeugen. Auch wenn Sultana das Programm klar zugeschnitten und durchplant hat, herrscht zu jeder Zeit das Gefühl, Zeuge eines unerwarteten Breaks oder eines ausladenden Solos zu werden. Sultana-Anhänger sind zu einem großen Teil nicht bloß Fans, sondern treue Chronisten ihres Schaffens und dementsprechend firm mit den kleinsten Details ihres ausgefeilten Treibens. Immer wenn man glaubt, man hätte den multiinstrumentalen Plan durchschaut, kommt von irgendwo eine Trompete ins Spiel oder wird der Reggae in Sekundenschnelle auf wabernden Psych-Rock gedreht.

(Bild: Andreas Graf)
(Bild: Andreas Graf)

Die Unbedarftheit der Prä-Corona-Tour ist mit dem Erfolg und dem Alter ein bisschen zurückgewichen. Keine ausufernden Barfußläufe auf der Bühne, kein Sprung in den Bühnengraben, um mit den Fans auf physische Tuchfühlung zu gehen. Die Nähe entsteht durch die Musik. Die drei abschließenden Songs des Abends nehmen ein gutes Drittel der knapp zweistündigen Setlist ein und weisen keine Sekunde zu viel auf. Der große Durchbruchshit „Jungle“, der Sultana via YouTube von der Straße in die großen Konzertlocations brachte, ist bei allen Anwesenden in Fleisch und Blut übergegangen, das abschließende, vornehmlich auf der Akustikgitarre gezupfte „Blackbird“ ist ein konziliantes Lehrstück in Sachen fragiler Virtuosität, aber die innigsten, intimsten Momente, die gibt es kurz davor im Doppelpack. Das eindringliche „Coma“ entwickelt sich von einem sanften Moment der Eigentherapie zu einem eruptiven Ausbruch samt Headbanging und das zartfühlende „Notion“ teilen zwei junge Damen in der ersten Publikumsreihe via Smartphone mit einer Freundin am Krankenhausbett, die während des ausufernden Tracks einen Komplettsturm der Emotionen zwischen Freude, Ergriffenheit und mitfühlender Trauer erlebt. Starker Tobak.

(Bild: Andreas Graf)
(Bild: Andreas Graf)

Wertvoll und ausgereift
Sultana gelingt es wie niemandem sonst, durch ihre musikalische Vielseitigkeit und Hingabe für Gefühlsausbrüche zu sorgen. Wie schon vor drei Jahren ist ihre Performance von nahezu unvergleichbarer Natur, auch wenn sich auf Langstrecke ein paar Längen einfinden und die ausgedehnten Instrumentalpassagen an der einen oder anderen Ecke etwas eingestampft werden können. Wenn man die Augen schließt und sich dem beeindruckenden, aber in der Arena etwas zu laut aufgedrehten Sound hingibt, dann ist man Jimi Hendrix, Bob Marley oder Erykah Badu näher als man glaubt. Zu den beeindruckenden Fingerfertigkeiten gesellt sich zudem ein Stimmvolumen, das zwischen engelsgleicher Höhe und zigarettengegerbter Coolness mühelos durch die Extreme mäandert. Zwischen „sie ist wie ein Mozart der Neuzeit“ (Person links von mir) und „das ist doch reine Fahrstuhlmusik“ (Person hinter mir) gibt es dennoch genug Raum zur passenden Kategorisierung. Tash Sultana entzieht sich jeglichen Normen der modernen Musikindustrie und ist schon allein deshalb Goldes wert - und da reden wir noch gar nicht von der klanglichen Qualität an sich…

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