Einen schönen Montagabend.
Es gibt viele Dinge, die mich nerven. Wenn Passanten langsam vor mir gehen, also wirklich langsam, so langsam, dass ich den Eindruck gewinne, sie wollen sich in der Zeit zurückbewegen, um wieder jung zu sein. Oder Personen im Supermarkt, die ihre Jö-Karte mit einer Wichtigkeit in die Höhe halten, als wären sie vom FBI und der Kassierer ein gesuchter Terrorist von der Most-Wanted-Liste, obwohl sie in Wirklichkeit einfach nur drei Bonuspunkte für ihre Zucchini abstauben wollen. Kriege nerven mich natürlich auch, aber bleiben wir beim Alltäglichen. Weit oben: Scheinheiligkeit. Mich nerven militante Veganer, diese ein- bzw. ausgefleischten Pflanzen-Guerillas, die anderen ihre Steaks verbieten wollen, die niemanden zu essen erlauben, was einst Augen hatte, daheim aber auf toten Kühen herumsitzen, die zu einer ledrigen Wohnlandschaft verarbeitet worden sind. Und mich nerven scheinheilige Politiker, die ihre FFP2-Maske aufsetzen, wenn die „ZiB“-Kameras sie ausleuchten, und danach oben ohne bei Wahlpartys herumtänzeln, wenn die Kameras wieder ausgeschaltet sind. Bussi, Bussi für den Sascha. Wird schon gut gehen. Das Virus kommt bekanntlich mit dem Auto, und das kann sich eh keiner mehr leisten.
Die Stunden nach der Wahl sind ein Polit-Vakuum, das sich vor allem durch Abwesenheit intellektueller Materie auszeichnet. Ich erinnere mich da an die ORF-Schaltung in das Dachgeschoß eines Wirtshauses, in dem den Anhängern der MFG angesichts ihres mageren Ergebnisses das Ungeimpfte aufgegangen ist. Die ganze Partei als Paradebeispiel für Social Distancing. Der Moderator fragt den Pressesprecher: „Ist Dr. Brunner der falsche Kandidat gewesen? Er ist sehr seriös.“ Da musste selbst der enge Mitarbeiter Brunners grinsen wie das Hufeisen neben ihm an der Wand. Ein Mann, der das AMA-Gütesiegel für heimischen Cannabisanbau fordert und als Pressbaumer Anwalt für Liegenschaftsrecht die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine leiten will, in Summe also ein zugedröhnter Friedensnobelpreisträger sein möchte, ist für den Öffentlich-Rechtlichen „sehr seriös“. Fast so seriös, als würden Sie sich von Ex-Wirecard-Chef Jan Marsalek die nächste Einkommensteuererklärung machen lassen.
Die Stunden nach der Wahl als die Zeit der intensiven Aufarbeitung. Und niemandem gelingt das inhaltlich differenzierter als jener Frau der SPÖ, die zukünftig Bundeskanzlerin von Österreich sein möchte. Von ihr war gestern ein Satz zu hören, so klug, dass auch die lebende Zitatesammlung Heinrich Staudinger nicht umhinkommen wird, sie zukünftig zu rezitieren - Gandhi hatte posthum schon genug Schluckauf. Pamela Rendi-Wagners punktgenaue Einschätzung zum Urnengang: „Natürlich werden die Wahlanalysen hier noch einiges analysieren.“ Natürlich. Hoffentlich klagt Bildungsminister Martin „Das werden wir uns anschauen“ Polaschek nicht auf Copyrightverletzung. Aber am Ende hat sie recht. Irgendwann werden die Analyse-Analysen der Analysten analysieren, wie es sein kann, dass Alexander Van der Bellen von den Grünen, der ÖVP, der SPÖ und den Neos unterstützt wurde und dennoch vergleichsweise nur einen mageren Erfolg einfahren konnte. Er selbst gab vor der Wahl an, ordentlich gezittert zu haben. Immerhin eine Form der Bewegung.
Die Stunden nach der Wahl als Phase schonungsloser Wahrheit. Die Bevölkerung hat ihr Kreuz gemacht, irgendjemand sogar direkt auf Walter Rosenkranz‘ Stirn, die Sache ist gelaufen. Es war nach der ersten Hochrechnung, Van der Bellen hatte von seiner Zigarette danach noch nicht einmal den Filter geraucht, da wurde von der Grünen Klubobfrau Sigrid Maurer schon die Maskenpflicht angekündigt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich bin kein Maskengegner, als regelmäßiger Fahrgast in der Wiener U6 würde ich sie gerne bis weit über die Stirn ausweiten, aber der Zeitpunkt ist fatal. Einmal noch ohne Gesichtswindel die absolute Mehrheit Van der Bellens feiern, tanzen, lachen, einmal noch ordentlich aerosolisieren, und dann das Wahlvolk schon bald wieder vermummt herumlaufen lassen.
Scheinheilig.
Ich wünsche einen schönen Feierabend, so Sie einen haben.
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