Wählerstromanalysen haben mit Umfragen genau gar nichts zu tun. Anhand von Ergebnissen aus allen Wahlsprengeln, Gemeinden und Bezirken einer aktuellen und vergangenen Wahl berechnen die Wissenschaftler des Instituts SORA statistisch, wie viele Wähler ihrem Kandidaten oder ihrer Partei blieben. Oder woandershin wanderten.
1. Aus Anhängern von Norbert Hofer werden Wähler Alexander Van der Bellens. Das scheint angesichts der Gegensätzlichkeit von FPÖ und Grünen ein politisch endlos weiter Weg zu sein. Doch sind ihn 2022 fast 500.000 Österreicher gegangen. So viele Menschen, die in der Stichwahl um das Präsidentenamt vor sechs Jahren für Hofer waren, haben diesmal ihr Kreuz beim alten und neuen Wahlsieger Van der Bellen gemacht.
2. Das sind gar nicht so viel weniger Wählerstimmen als unter freiheitlichen Parteifreunden der blaue Walter Rosenkranz aus dem Lager des blauen Hofer holte. Wie ist das möglich? Man darf nicht vergessen, dass Hofer einst ja viele Wähler hatte, die ansonsten nicht für die FPÖ sind. Sondern ursprünglich im ersten Wahlgang zum Beispiel Andreas Khol von der ÖVP oder Rudolf Hundstorfer von der SPÖ gewählt hatten. Van der Bellen hat viele dieser am Sonntag heimatlosen Wähler angesprochen und abgeholt.
3. Aktueller sind die Wanderungen der jeweiligen Parteianhänger aus der letzten Nationalratswahl 2019. Da holte Bundespräsident Van der Bellen drei Viertel der Grünstimmen, musste jedoch einen erheblichen Teil an Dominik Wlazny abtreten. Klar gewonnen hat er, weil auch zwei Drittel der - damals vor drei Jahren sehr vielen - ÖVP-Wähler für ihn waren.
4. Die rechtsgerichteten Kandidaten Rosenkranz, Tassilo Wallentin, Gerald Grosz und Michael Brunner nahmen sich gegenseitig Stimmen weg, ohne im bürgerlichen Mitte-rechts-Bereich besonders gut zu punkten. Für Rosenkranz kam ein Sonderproblem hinzu: Rund jeder zehnte Wähler der FPÖ aus dem Jahr 2019 blieb bei der Präsidentschaftswahl zu Hause und wurde zum Nichtwähler.
5. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Was kann man aus den Wählerwanderungen einer Personenwahl für die nächsten Parteiwahlen lernen? Van der Bellens Sieg zeigt, dass die ÖVP in alle Richtungen ausrinnen kann. Sie verliert nicht nur Stimmen an die FPÖ. Diese wiederum hatte Mobilisierungsprobleme und bekommt noch mehr Probleme, sobald sich mehrere Rechtsparteien finden. Wlazny hingegen bewies, dass SPÖ - dieser fehlt zugleich eine Strategie gegen die FPÖ - und Grüne von links genauso leicht angreifbar sind.
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