Pommers Feierabend

Peinliche Haarspalterei, ein SPÖ-Mann geht viral

Pommer am Abend
11.10.2022 14:30

Einen schönen Dienstagabend.

Der heutige Tag war noch nicht einmal neun Stunden alt, da war die Liste der Anwärter für die aktuelle Scheinheiligsprechung wieder um viele Namen länger. Wer in der katholischen Kirche ein Heiliger werden möchte, der muss Jahrzehnte, oft sogar Jahrhunderte auf den Segen warten - und zu Lebzeiten ganz schön dafür schuften. Da ist nichts mit Work-Life-Balance, Freizeitguthaben und Gewerkschaft. Wer nebenbei nicht einen Mann mit Hirntumoren heilt, wie es Mutter Teresa nachgesagt wird, der schaut bei dem kirchenrechtlichen Akt durch die Finger. Die Heiligsprechung erfolgt posthum, da ist eine solche Wartezeit ein vernachlässigbares Übel, wie ich finde, aber vielleicht spricht aus mir auch nur der Neid, weil mir außer dem Wunder der eigenen Geburt kein weiteres geglückt ist. Anders ist das Prozedere bei der Scheinheiligsprechung: Die Liste der Kandidaten steigt weltweit täglich um eine unvorhersehbare Zahl, es gibt für die Messung kein geeignetes Instrument, denn sie vermehren sich wie Karnickel. Wie gesagt, bis neun Uhr schon zwei Beispiele:

Beispiel a) Peinliche Haarspalterei
„40 deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler zeigen sich solidarisch mit den Protestierenden im Iran - und schneiden sich Haare“, las ich auf Twitter. Darunter ein Video mit 2.20 Minuten Länge. Ich habe mir erwartet, dass ich Stars sehe, bekannte Gesichter, die sich die Matte absäbeln wie es einst der heimische Bildungsminister Martin Polaschek tat - übrigens auch aus Solidarität, in erster Linie sich selbst gegenüber, für endlich positive Berichterstattung. Vorher Vetter Itt von der Addams Family, nachher Martin Kocher, das hätte mir imponiert. Stattdessen mir größtenteils fremde Frauen und Männer mit zwei sichtbaren Problemen: Selbstüberschätzung und Spliss. Ich sah einen Haufen Fell in allen Zuständen des Verfalls: hart wie Soletti, lockig Marke streunender Zwergpudel, kaputt gefärbtes Friedhofsblond, ölkatastrophenfettig, perückenartig, saugfähig wie Weizenstroh. Heißt: Die Mähne musste bei den meisten sowieso weg, außer sie spielen demnächst eine Tatort-Leiche.

Mit einem betroffenen Blick, als müssten sie Rollen im nächsten ORF-Zweiteiler übernehmen, greifen die Schauspieler zu einer Schere - mit der gleichen Entschlossenheit, wie es sonst nur die Regisseure bei ihren Szenen tun. Einige trennen ordentlich ab, die meisten aber schneiden, so wie es die Zeitschrift „Brigitte“ für daheim empfiehlt: zaghaft Strähne für Strähne, vorsichtig die Spitzen weg, nur kleine Stufen, Pony leicht stutzen. Manche der extrahierten Proben würden nicht einmal für einen DNA-Test reichen, viele der Mimen haben wohl auf dem Rücken mehr Haare als danach in der Hand. Es ist ein widerliches Schauspiel schlecht gespielter Pseudo-Solidarität. Wer einen Eiswürfel lutscht, hat auch nicht bei der ALS Ice Bucket Challenge mitgemacht. Haarsträubend.

Beispiel b) Ein SPÖ-Mann geht viral
Die SPÖ hat einen neuen Social-Media-Mann, und der heißt Thomas Walach, vormals Chefredakteur bei Zackzack. Walach überwacht für Pamela Rendi-Wagner unter anderem das ganze Twitter- und Facebookzeugs. Zum Teil mit schonungsloser Ehrlichkeit: Zuletzt sah ich auf Instagram ein Foto mit Rendi-Wagner, gottverlassen in ihrem Büro, mit dem Rücken zur Wand. Besser kann man die innerparteiliche Stimmung mancher Tage fotografisch kaum festhalten. Rendi-Wagner ist nicht nur die Bundeskanzlerin seines Herzens, sondern sieht sich kraft ihrer Ausbildung auch gerne als politische Ober-Epidemiologin Österreichs - so kritisierte sie etwa das Ende der Quarantäne-Regeln scharf.

„Ist es echt zu viel verlangt, dass man daheimbleiben kann, anstatt andere anzusandeln, wenn man eine meldepflichtige Infektionskrankheit hat?“, twitterte Walach noch im Juli. Vergangenes Wochenende hatte er zwar nichts Meldepflichtiges, aber „Schüttelfrost, Fieber und Halsschmerzen aus der Hölle“. Und wo war der Mitarbeiter der pandemischen Krisenmanagerin? Walach heute auf Twitter: „In London, weil 10 Jahre drauf gewartet, Green Bay live sehen zu können.“ Im Tottenham-Stadion, das über ein Fassungsvermögen von 62.850 Zuschauern verfügt. Aber eh mit Maske, alles gut. Laut Berechnungen der US-Seuchenbehörde CDC und der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahr 2018 sterben jährlich übrigens bis zu 650.000 Menschen an der Grippe, also zehnmal so viele, wie in das Stadion passen. Dass es sein Auftrag ist, viral zu gehen, hat Walach wohl falsch verstanden.

Das war die heutige Scheinheiligsprechung. Kein Amen.

Ich wünsche einen schönen Feierabend, so Sie einen haben.

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