Historischer Moment: Die Europäische Union legt das erste Mal seit 30 Jahren eine neue Naturschutz-Verordnung vor. Was auf die Steirer zukommt - und warum Land- und Forstwirte scharfe Kritik üben.
Laura Hilt muss laut sprechen, damit man sie hören kann. Während die Biodiversitätsexpertin des European Environmental Bureaus in Brüssel die jüngste Naturschutz-Verordnung der EU analysiert, geht draußen gerade die Welt unter: Auch in der belgischen Hauptstadt, dem Machtzentrum der Europäischen Union, sind die Auswirkungen des Klimawandels längst spürbar - aktuell durch einen viel zu warmen, gewitteranfälligen Herbst.
Nicht einmal 100 Naturschutz-Lobbyisten in Brüssel
Als Teil einer Naturschutz-NGO ist es die junge Frau aber ohnehin gewohnt, grell in Erscheinung treten zu müssen: Von etwa 25.000 Lobbyisten in Brüssel, die informellen Einfluss auf die Politik nehmen, sind nicht einmal 100 dem Naturschutz zuzuschreiben. Die Agrarwirtschaft als starker Gegenspieler soll mit 10.000 Beratern vertreten sein, genaue Zahlen gibt es nicht.
Das neue EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, das kürzlich vorgelegt wurde und 2023 verabschiedet werden soll, bezeichnet Hilt als „historische Chance“ und „überfälliges Signal für den Schutz der biologischen Vielfalt“ - trotz einiger Schwächen. Konkret muss jeder Mitgliedsstaat unter anderem bis 2030 auf mindestens 20 Prozent seiner Landesfläche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur durchführen - bereits bestehende Schutzzonen wie etwa Natura-2000-Flächen zählen nicht dazu.
Dass wir 20 Prozent unserer Landesfläche wiederherstellen sollen, zeigt auch, wie viel wir bereits zerstört haben.
Umweltlandesrätin Ursula Lackner
„Der eingeschlagene Weg ist alternativlos“
Hintergrund ist der rasant voranschreitende Verlust an Biodiversität in ganz Europa, der trotz bestehender Strategien und Richtlinien - beispielsweise zum Vogel- und Gewässerschutz - bislang nicht eingedämmt werden konnte. Während von der Land- und Forstwirtschaft scharfe Kritik an der geplanten Verordnung kommt (deren Vertreter sehen etwa die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gefährdet), knüpft die steirische Naturschutzlandesrätin Ursula Lackner (SPÖ) große Hoffnung an das neue Regelwerk: „Der Erlass stärkt dem Naturschutz den Rücken - und das ist auch dringend notwendig. Damit erste Maßnahmen schon in den nächsten sieben Jahren auf Schiene gebracht werden können, muss zwar sicher noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, der eingeschlagene Weg ist aber alternativlos. Wir müssen intakte Natur zurückgewinnen, da wir sie alle fundamental zum Überleben brauchen.“
Finanzierung als großes Fragezeichen
Da die neue Verordnung massive Einschnitte in die Kompetenzen der EU-Mitgliedsstaaten bedeutet und bei Nicht-Einhalten der Vorgaben saftige Strafen drohen, war Lackner gemeinsam mit einer steirischen Naturschutzdelegation jetzt für Expertengespräche in Brüssel vor Ort. Und auch wenn alle Verantwortungsträger geschlossen hinter der Idee stehen, so wurden hier rasch auch die Schwächen der europäischen Naturschutzvision transparent: „Das Thema Finanzierung wurde bislang völlig außen vor gelassen“, so Lackner.
Diese ortet noch weitere Hürden: „Naturschutz ist in Österreich Ländersache. Für eine fristgerechte Umsetzung mangelt es sowohl an finanziellen, als auch an personellen Ressourcen. Zudem fehlt uns die notwendige Datengrundlage“, sieht die steirische Landesrätin noch „großen Redebedarf“ auf alle Beteiligten zukommen.
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