"Krone"-Sommer-Talk

Faymann: “Bei uns gibt es immer noch zu viele Arme”

Österreich
29.08.2011 17:39
Im "Krone"-Sommer-Talk kündigt Bundeskanzler Werner Faymann die große Steuerreform für 2013 an – pünktlich zur Wahl. In seinen Augen sollen Unternehmen fix belastet werden. Welche gesellschaftlichen Schichten es ebenfalls treffen könnte, verrät der SPÖ-Chef hingegen nicht...

"Krone": Herr Bundeskanzler, Sie wirken stets ruhig und gelassen, obwohl das Jahr 2011 bisher vor allem mit Katastrophen, Krisen und zornigen Bürgern und Jugendlichen Schlagzeilen gemacht hat. Verschließen wir mit Zweckoptimismus die Augen vor einer Welt im Umbruch?
Werner Faymann: Grundsätzlich hat man es nicht leichter, nur weil man sich aufregt. Man muss Vorsorge treffen und besonnen und konsequent darauf achten, dass die Wirtschaft in Europa weiterhin wächst und durch eine gerechte Verteilung auch die Jugendarbeitslosigkeit sinkt.

"Krone": Sie starten eine "Gerechtigkeitsoffensive". Für oder gegen wen ist sie gerichtet?
Faymann: Der soziale Ausgleich und die breite Mittelschicht, die wir in Österreich haben, ist europaweit keine Selbstverständlichkeit. In anderen Ländern klafft die Schere zwischen Arm und Reich viel weiter auseinander. Dennoch: Auch bei uns gibt es immer noch viel zu viele arme Menschen! Hier muss man gegensteuern, damit die Schere nicht weiter auseinandergeht.

Krone": Gibt es für Ihren Geschmack auch zu viele Reiche?
Faymann: Mich stört nicht, wenn jemand reich ist. Im Gegenteil, je besser er verdient, umso mehr kann er für die Gesellschaft beitragen. Wenn nichts da ist, kann man auch nichts verteilen. Ohne herausragende Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen wir gar nicht über Gerechtigkeit diskutieren. Ich fordere jedoch, dass große Finanzkonzerne mehr Steuern zahlen sollen und im Gegenzug die Arbeit entlastet wird.

"Krone": Wer konkret soll künftig mehr Steuern zahlen?
Faymann: Entlastet werden sollen jene Menschen, die im Bereich zwischen 2.000 und 4.000 Euro brutto im Monat verdienen. Das können Facharbeiter oder Selbstständige sein. Dafür sollen bei der Gruppenbesteuerung einige Vorteile wegfallen. Derzeit können Konzerne Verluste im Ausland mit Gewinnen im Inland gegenrechnen und es sich so steuerlich richten.

"Krone": Wann soll die Steuerreform durchgezogen werden?
Faymann: Ich habe sie für das Jahr 2013 angesetzt. Im Falle der Gruppenbesteuerung kann man bereits vorher zu Ergebnissen kommen.

"Krone": Also kurz vor den Nationalratswahlen soll es Steuererleichterungen für den breiten Mittelstand geben?
Faymann: Zu diesem Zeitpunkt können wir absehen, ob das Wirtschaftswachstum so hält, dass wir diese Umverteilung auch vornehmen können. Außerdem brauchen wir die Unterstützung der Wähler für die nötigen Reformen. Beim letzten Mal konnten wir den Koalitionspartner von der Bankenabgabe oder Änderungen bei der Stiftungs- und Konzernbesteuerung überzeugen, aber dieses Mal habe ich das Gefühl, dass es eine besonders heftige Diskussion wird.

"Krone": Sowohl die ÖVP als auch die SPÖ wollen die Mittelschicht stützen. Wo sehen Sie heute die großen ideologischen Unterschiede zwischen den Parteien und wie erklären Sie diese den langjährigen Genossen in den Sektionen?
Faymann: Dieser Unterschied ist dann merkbar, wenn es um Fragen der Arbeitnehmerpolitik und der sozialen Gerechtigkeit geht. Es war sehr schwierig, die Bankenabgabe mit dem Koalitionspartner zu vereinbaren – jeder kennt ja die Zusammenhänge zwischen Raiffeisen und der ÖVP. Die SPÖ ist aufgrund ihrer Tradition und politischen Wertehaltung eine Partei, in der soziale Gerechtigkeit einen enormen Stellenwert hat. Daher sind wir zum Beispiel für eine gemeinsame Schule, während die ÖVP vom Gymnasium redet, als wäre dies eine Art Elite-Einheit, wo manche einfach nicht hindürfen. Unterschiede gibt es also, aber zum Glück auch viele Gemeinsamkeiten, denn dies zeigt, dass wir in Österreich ein starkes politisches Zentrum haben.

"Krone": Gibt es beim Thema Zuwanderung Gemeinsamkeit?
Faymann: Die Wirtschaft und nicht eine Partei hat in den vergangenen Jahren viele Menschen in das Land geholt. Da ist es nun tatsächlich so, dass wir strenge Kontrollen bei der Zuwanderung fordern, aber jene, die bereits da sind, sollen mit ganzer Kraft ordentlich integriert werden. Bei diesem Thema dürfen sich SPÖ und ÖVP nicht gegeneinander ausspielen. Dafür gibt es ohnehin die Freiheitlichen, die nicht mehr darüber reden wollen, dass unter Schwarz-Blau die höchste Zuwanderung stattgefunden hat.

"Krone": Wird Migration 2013 das dominierende Thema sein?
Faymann: Die harte Auseinandersetzung wird die Europa-Politik sein. Es bleibt zu hoffen, dass der Euro-Raum aus der Finanzmarktkrise lernt und das österreichische Modell einer breiten Mittelschicht übernimmt. Ich fürchte jedoch, dass uns die Probleme von Spanien und Italien bis 2013 begleiten werden. Der Euro ist geschaffen worden, ohne die Instrumente einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik festzulegen.

"Krone": Sie sind doch gegen eine gemeinsame Wirtschaftsregierung?
Faymann: Diese im Nachhinein zu installieren, würde eine massive Änderung des Vertrages von Lissabon erfordern. Darüber würde ich jedenfalls eine Volksbefragung abhalten. Und ich kann niemandem in Österreich erklären, warum die Frau Merkel oder der Herr Sarkozy unsere Steuer- und Sozialpolitik bestimmen sollte.

"Krone": Was ist die Alternative?
Faymann: Wir müssen zu mehr Kommunikation und Abstimmung im Euro-Raum finden, jedoch auf freiwilliger Basis.

"Krone": Hat sich Ihr Bild von Staatschefs wie Nicolas Sarkozy oder Silvio Berlusconi durch die persönlichen Begegnungen und Arbeitsgespräche verändert?
Faymann: Mein Bild von Berlusconi ist bestätigt worden, bei Nicolas Sarkozy muss ich jedoch sagen, dass er gerade bei Fragen der Finanztransaktionssteuer oder in anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik sehr innovativ ist und uns sehr unterstützt. Mit Frankreich haben wir einen großen Auseinandersetzungspunkt, und das ist die Atomkraft.

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