Bis zuletzt hatten sich die Freiheitlichen gegen den Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Parlament gewehrt. Als es am Donnerstag dann so weit war und dessen Rede per Video zugespielt wurde, protestierten Parteichef Herbert Kickl und seine Abgeordneten mit Schildern und verließen geschlossen den Saal. Aber auch die SPÖ sorgte für Irritationen.
Selenskyj erklärte in der rund zehnminütigen Rede, dass es sich um einen „totalen Krieg Russlands gegen unsere Menschen“ handle, in dem jeden Tag Menschen ihre Leben verlieren würden. Nicht nur in Kampfhandlungen würden Menschen getötet, sondern auch danach. 174.000 Quadratkilometer, etwa die doppelte Fläche Österreichs, seien durch Minen und nicht explodierte Geschosse kontaminiert. Hunderttausende Minen, Granaten und Sprengfallen seien von den Russen in Gebäuderuinen, Feldern und Gärten hinterlassen worden.
Selenskyj lud Abgeordnete in die Ukraine ein
„Wenn wir uns an Sie wenden, um um Unterstützung zu bitten, bitten wir darum, Menschenleben zu schützen“, so Selenskyj. Die Ukraine wolle in Sicherheit, Ruhe und Freiheit leben. Er lud die Abgeordneten ein, in die Ukraine zu reisen und sich selbst ein Bild zu machen. All diese Worte hörten die FPÖ-Abgeordneten nicht, da sie bereits zuvor geschlossen den Saal verlassen hatten. Klubobmann Herbert Kickl hatte im Vorfeld den anderen Fraktionen vorgeworfen, sie seien „zu einer gefährlichen und undifferenzierten ,Endsiegrhetorik‘ übergegangen“. Damit griff er zu einem einschlägig belasteten Propagandabegriff. Kickl betonte auch, dass seine Partei sich nicht an diesem „Anschlag auf Österreichs Neutralität“ beteiligen werde.
Die anderen Fraktionen wiesen in ihren anschließenden Redebeiträgen die Freiheitlichen zurecht. Selbstverständlich sei Selenskyjs Rede mit der Neutralität vereinbar, betonte der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka. Er kritisierte, dass die FPÖ-Abgeordneten dem ukrainischen Präsidenten den Rücken gekehrt haben: „Schade, dass sie ein solches Verhalten an den Tag legen. Wirklich schade.“
„Wenn hier im Hohen Haus jemand die Neutralität verrät, dann ist es die FPÖ“, meinte auch die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic. Die FPÖ entziehe sich dem demokratischen Diskurs, und „das ist eine Schande“, betonte sie. „Österreich ist solidarisch an der Seite der angegriffenen Ukraine.“ Dieser Krieg gefährde massiv die Stabilität in der gesamten Welt. Mit Blick auf die aufgenommenen Vertriebenen bedankte sich Ernst-Dziedzic bei der Zivilgesellschaft, dass sie derart solidarisch sei.
„Wenn man in einem Jahr ausschließlich 30 prorussische Anträge hier einbringt, ist das weder ein Signal für Frieden noch ein Signal für Neutralität“, schloss sich auch SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried der Kritik an der FPÖ an. Österreich habe von Beginn an schnell und entschlossen auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine reagiert. Er hoffe, dass die „Konfliktspirale“ bald gestoppt werden könne, sagte Leichtfried. Die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner, war nicht anwesend. Wie ihre Sprecherin gegenüber der APA erklärte, sei Rendi-Wagner krank.
NEOS: „Nur 18 von 40 SPÖ-Abgeordneten anwesend“
Doch neben der Parteichefin fehlten auch noch zahlreiche andere Abgeordnete der Sozialdemokraten, was ebenfalls für Irritationen sorgte. So twitterte NEOS-Parlamentarier Douglas Hoyos: „Nur 18 von 40 Abgeordneten der SPÖ anwesend. Mir fehlen die Worte.“
In einem weiteren Tweet zählte Hoyos die Namen der nicht anwesenden SPÖ-Politiker auf. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger gab sich ebenfalls enttäuscht und meinte in Richtung der FPÖ: „Ich schäme mich heute sehr, dass es auch hier im Hohen Haus Abgeordnete gibt, die nicht unterscheiden können zwischen Opfern und Tätern.“
Protest von Friedensaktivisten vor dem Parlament
Im Plenarsaal verfolgten zahlreiche Besucher die Debatte von der Galerie aus, unter anderem Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der ukrainische Botschafter Wassyl Chymynez. Vor dem Parlament demonstrierten dagegen an die hundert Friedensaktivisten, Vertreter der Kulturszene und linke Gruppierungen gegen die Rede Selenskyjs. Aktivist Stefan Krizmanich etwa sprach von einer „Schande für die Republik“, dass ein Präsident, der offen mit Ultranationalisten kooperiere, die Opposition ausschalte und Schwarze Listen dulde, das Wort im Parlament ergreifen durfte.
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