Zwei Patienten liegen auf Matratzen oder daneben am Boden, eine Person im Gangbett - und offiziell gibt’s hier nichts zu sehen ...
Für jede Menge Aufregung sorgt der „Krone“-Bericht über die Situation auf einer Notfallstation im Wiener AKH. Gleich vier Personen liegen hier nicht in ihrem Krankenbett im Zimmer, sondern entweder in einem Gangbett oder gleich auf Matratzen am Boden. Bei einer Person sieht man überhaupt nur die einbandagierten Beine auf dem kalten Linoleum.
Fakt ist: Viele Wiener haben nicht mit solchen Zuständen in einem österreichischen Krankenhaus gerechnet. Auch Patientenanwalt Gerhard Jelinek kritisiert eine solche „Lagerung aus ethischen und hygienischen Gründen“. Sollten solche Vorfälle gehäuft auftreten, wäre dies „nicht zu tolerieren“.
Das neue Normal
Dennoch: Für Österreichs führendes Krankenhaus sowie den zuständigen Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ist die Situation anscheinend ganz normal. Hacker: „Natürlich können wir darüber diskutieren. Aber es gibt die Fehleinschätzung, dass ein Spital wie in Fernsehserien funktioniert. Klinisch sauber, blonde Krankenschwestern, Cornetto-Ärzte. Im Spital haben wir noch viel hässlichere Fotos auf Lager. Es sterben hier nämlich auch Menschen. Mir fehlen noch einige Informationen, um mir ein ganzes Bild zu machen. Es handelt sich hier aber um eine Standardprozedur. Und einen Patienten auf eine Matratze auf den Boden zu legen ist die bessere Alternative als ihn im Bett zu fesseln. Außerdem habe ich mittlerweile mit der Tochter der abgebildeten Patientin telefoniert. Sie hat sich für die Behandlung bedankt.“
Die Mitarbeiter vor Ort haben diese Entscheidung getroffen. Es gibt hier klare gesetzliche Regelungen, wie vorzugehen ist.
Peter Hacker, Gesundheitsstadtrat SPÖ
AKH tauscht sich nun mit anderen Kliniken aus
Ähnlich, aber doch etwas differenzierter sieht es die ärztliche Direktorin des AKH, Dr. Gabriela Kornek: „Mir ist bewusst, wie verstörend diese Bilder wirken müssen. Ich kann aber versichern, dass wir solche Maßnahmen nur setzen, wenn alle anderen gelinderen Maßnahmen nicht gehen. In diesem Fall war es eben die Lagerung auf einer Matratze. Tatsächlich ist die Sitzwache in diesem Fall die nächste Eskalationsstufe. Alle Maßnahmen sind dokumentiert und mit den Angehörigen abgesprochen.“
Nächste Eskalationsstufe. Soll heißen: Für Patienten ist es demnach angenehmer, auf dem Boden zu schlafen, bei tagheller Beleuchtung und neben wildfremden Personen im benachbarten Gangbett, als neben einer Sitzwache einer Agentur, die rund um die Uhr auf die Erkrankten schaut. Kornek: „Es gibt Entscheidungen, die nicht von uns getroffen werden. Wir werden jedoch auch mit anderen Uni-Kliniken in Kontakt treten, wie diese in solchen Fällen vorgehen und ob es nicht Verbesserungen gibt.“
... von „Bodenbetten“ hätte es in diesem Jahr im AKH Wien gegeben. Zwei davon in einer Nacht. Dem stehen aber Dutzende Einsätze von Sitzwachen gegenüber - welche eigentlich nicht gewünscht sind.
Kommentar von Michael Pommer: Alt und krank
Es ist kaum zu glauben, dass dieser Satz jemals geschrieben wird, aber: Wer ein Gangbett ergattert, der hat noch einmal Glück gehabt. Mittlerweile - im Jahr 2023, in Wien, der lebenswertesten Stadt der Welt - liegen die Patienten auf dem kalten Linoleumboden, regungslos im grellen Neonlicht der Deckenlampen, neben Mistkübeln. Einer Frau hängt der Urinbeutel auf den Flur, andere Kranke fristen ihr Dasein in provisorischen Zelten aus Bettlaken - wie die Halbtoten in den China-Lazaretten nach den Coronawellen. So sieht die Mehr-Klassen-Medizin in Wien aus: Vermögende in voll klimatisierten Einzelzimmern mit exklusiven Bädern, Ältere auf der Erde. Ein Patient sogar kaum geschützt. Selbst Hunde bekommen ein Körbchen.
Für die Klinik ist das normal. Auch SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, sonst kein Freund der Zurückhaltung, hebt sich seine Empörung wohl für das nächste geistlose Video von ÖVP-Wien-Chef Karl Mahrer auf. Die Gesundheitsversorgung liegt am Boden, und niemanden scheint das groß aufzuregen. Sind ja nur Alte. Sind ja nur Demente. Sind ja nur jene ohne Lobby. In all den Jahren ist nicht eine Geschichte überliefert, in der ein hochrangiger Politiker oder ein Verwandter eines solchen in einem Gangbett oder auf dem Boden liegen musste. Das Methusalem-Gen scheint sie unsterblich zu machen.
„Wissen Sie denn nicht, wer ich bin?“ - das öffnet Ambulanztüren. Jetzt ist es also so weit: Alt und krank darf man in Wien nicht werden.
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