Wolfgang Katzian ist Chef des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Der 66-Jährige ist ein mächtiger Player in der Sozialdemokratie und der Sozialpartnerschaft - und beim Verhandeln von Löhnen ein gefürchtetes wie respektiertes Gegenüber. Und er findet stets klare Worte. Aktuell zu Teuerung, Armut - und den Turbulenzen in seiner SPÖ. Der 66-jährige Gewerkschaftler spricht darüber mit der „Krone“.
„Krone“: Herr Präsident, das aktuell heißeste Thema, das alle Weichen für die Zukunft der SPÖ stellen soll, ist die Debatte um die Parteispitze im Bund. Ein schmutziger Kampf ist entbrannt. Zwischen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und ihrem Herausforderer Hans Peter Doskozil. Der Linke Andreas Babler mischt ordentlich mit. Wie sehen Sie die Entwicklungen?
Wolfgang Katzian: Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass mit dem Parteitag die Debatten ein Ende finden und dass Ruhe einkehrt. Die Gesellschaft braucht eine starke Sozialdemokratie. Und diese muss mit einer Stimme nach außen sprechen. Es gibt viel zu tun, um den Haufen zusammenzuhalten. Die Frage ist, wie man die Verletzungen der letzten Jahre bearbeitet und sich dann gemeinsam auf Ziele und eine Vorgangsweise einigt.
Wie realistisch ist das?
Es ist gut, wenn das alles aufpoppt, dann kann man es aufarbeiten. Aber es kann ja nicht sein, dass wir uns in einer Zeit, in der die Welt neu geordnet wird, vor allem mit uns selbst beschäftigen. Die Menschen haben ganz andere Sorgen. Als Doskozil sagte, er tritt an, war klar, dass es eine neue Situation gibt. Ich kenne alle handelnden Personen. Ich glaube, dass sie getrieben sind vom Wunsch, die Welt besser zu machen. Wenn man das wirklich will, dann ist es auch möglich, sein Ego zurückzustellen und Teil eines Teams zu sein. Ich glaube, das wird auch so passieren. Leicht wird es nicht, aber machbar ist es.
Wer könnte die SPÖ wieder nach oben führen?
Das werde ich intern diskutieren. Alle drei aussichtsreichen Kandidaten sind mit Stärken ausgestattet. Das alles ist aber Teil der internen Debatte. Ich gehöre zur Wohnzimmerfraktion, nicht zur Balkonfraktion.
Könnte noch ein Alternativkandidat das Rennen machen?
Nächste Frage.
Die Regierung hat es nicht geschafft, eine Mietpreisbremse zu installieren. Millionen sind betroffen. Die Inflation galoppiert in schier unendliche Weiten. Was sagt uns das?
Im März hatten wir mit 9,1 Prozent Inflation eine der höchsten Raten in Europa. Die Regierung hat es nicht geschafft, die Teuerung einzudämmen. Die Inflation sinkt nicht und die Preise werden nicht niedriger. Wir haben schon letztes Jahr gesagt, es gibt drei Bereiche - Wohnen, Lebensmittel und Energie. Im März 2022 haben wir neben anderen Punkten als Sozialpartner gesagt, es braucht einen Mietpreisstopp für alle Wohnungen. Zum Senken der Inflationsrate hätte es entsprechende Maßnahmen durch die Regierung gebraucht.
Warum konnte man sich nicht auf die Mietpreisbremse einigen? Sogar unabhängige Ökonomen fordern dies ….
Es versteht niemand, warum keine Mietpreisbremse zustande gekommen ist. Das hat nichts mit parteipolitischen und ideologischen Argumenten zu tun. Die Einmalzahlungen, die Bonuszahlungen, sind zu wenig. Die Preise bleiben hoch. Der eine große Treiber sind die Mieten, der andere die Lebensmittel. Die Mehrwertsteuersenkung haben wir auch schon vor einem Jahr vorgeschlagen. Dann heißt es immer gleich „Gießkanne“. Doch uns geht es nur um Aussetzung der Mehrwertsteuer bei den Gütern des täglichen Bedarfs - Lebensmittel, Duschgel etc. Was man zum Leben braucht. Wir reden ja nicht von Champagner und Kaviar. Wenn unsere Ökonomen das vorschlagen, dann heißt es, die haben keine Ahnung. Mittlerweile machen das viele Länder wie Irland, Italien, Polen etc. Auch die Niederlande überlegen das ernsthaft. All diese Ökonomen können ja nicht nur Wappler sein.
Ist die Regierung zu wenig mutig?
Wenn man beim Wohnen oder Heizen etwas macht, dann senkt man auch die Inflation. Das sagen auch Ökonomen wie Wifo-Chef Gabriel Felbermayr oder Professor Christoph Badelt vom Fiskalrat, die keine Linksblinker sind. Viele reden so gescheit daher, die haben aber keine Ahnung, wie es den Menschen geht, die betroffen sind. Ich kenne viele. Ich bringe ein Beispiel: Ich habe eine 84-jährige Frau kennengelernt, sie hat gesagt, sie hat vor drei Jahren begonnen mit einem Englischkurs in der Volkshochschule. Damit das Gehirn fit bleibt. Durch die Mieterhöhungen kann sie sich den Kurs nicht mehr leisten. Mir sind fast die Tränen gekommen bei dieser Geschichte. Da kann man nicht still sein. Das sind Beispiele, wo ich sage, da muss ich noch einmal hinhauen.
Wo ist das grundlegende Problem?
Niemand hat so hohe Inflationszahlen wie wir. Ich kann nur sagen, macht‘s etwas! Auch rückwirkend bei der Mietpreisbremse. Das hat auch Auswirkungen auf die Inflation. Ich habe gehört, dass man schon sehr weit war in der Koalition. Und herausgekommen ist der faule Kompromiss, die Einmalzahlung. Es geht nicht mehr um die Ärmsten der Armen, die Teuerung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wir brauchen jetzt Stabilität und müssen in den Markt eingreifen. Aber sie werden alle ganz blass, wenn man von Markteingriff redet. Wenn man mir sagt, dass das doch nicht geht, stelle ich eine Gegenfrage: Wie war das bei Corona? Da war der Markt der Erste, der sich geschlichen hat. Da war alles möglich. Dabei war es der Sozialstaat, der das Land durch die Corona-Krise getragen hat.
Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt, dennoch ist ein Fünftel von Armut gefährdet oder betroffen ... Ein Armutszeugnis?
Wenn 1,6 Millionen Menschen an der Armutsgrenze leben oder armutsgefährdet sind, dann muss die Regierung endlich inflationsdämpfende Maßnahmen setzen und es müssen weiterhin die Löhne und Gehälter ordentlich nach oben gehen. Da haben wir als Gewerkschaften darauf geschaut, dass das auch so geschieht. Das haben wir in allen Bereichen seit der Herbstlohnrunde 2022 durchgesetzt und Zuwächse erzielen können, die über der rollierenden Inflation liegen.
Es ist ein steter Kampf. Auch die Arbeitgeber müssen ihre Interessen vertreten, ist das nicht nachvollziehbar?
Die Sozialpartnerschaft funktioniert seit Jahrzehnten. Das ist etwas, worum man uns überall beneidet. Doch jetzt kommen die ersten Rufe nach Lohnzurückhaltung, damit es gut weitergeht. Da machen wir nicht mit. Wie soll man das den Menschen erklären, dass sie weniger draufkriegen als die Teuerung ausfällt bei Mieten oder Lebensmitteln oder Energie? Wir fordern endlich die Einsetzung einer Anti-Teuerungs-Kommission, mit Zähnen, ähnlich wie das bei der Euro-Umstellung gemacht wurde. Nur so wird auch die „Gierflation“ bekämpft, also all jene Preiserhöhungen, die nicht durch höhere Energiepreise etc. zustande gekommen sind.
Mindestlöhne sind auch ein großes Wort der Stunde ... Ein taugliches Mittel gegen die grassierende Armut?
Wir setzen uns weiterhin auch für einen Mindestlohn von 2000 Euro für alle ein. Mindestlöhne sind Angelegenheit der Tarifpartner. Wir haben eine Kollektivvertragsabdeckung von 98 Prozent, da können alle anderen Länder nur davon träumen. Wären wir nur bei 20 Prozent, wäre ich sofort für gesetzliche Regelungen.
Wir setzen uns weiterhin auch für einen Mindestlohn von 2000 Euro für alle ein.
ÖGB-Chef Wolfgang Katzian
Burgenlands Landeshauptmann Doskozil hat sogar 2000 Euro netto für Landesbedienstete im Burgenland eingeführt. Per Gesetz. Ist das nicht ein enormer Schritt?
Wenn der Landeshauptmann sagt, wir zahlen mehr als wir müssen, macht er nichts anderes als vielfach in der Privatwirtschaft auch geschieht, also Überzahlungen. Und wenn er oder andere Unternehmen das machen, haben sie natürlich meinen Applaus. Die Lohnverhandlungen selbst sind aber bei den Tarifpartnern gut aufgehoben. Das hat sich bewährt.
Die Pflege ist ebenfalls zu einem enormen Problem geworden. Jeden betrifft es irgendwie und irgendwann, und fast ebenso viele haben den Eindruck, dass zu wenig geschieht. Stimmt das?
In einer älter werdenden Gesellschaft braucht es gute medizinische Betreuung und Pflege. Ich habe meine Mutter im Pflegeheim, ich weiß, wovon ich rede. Die Pflegerinnen leisten Unglaubliches. Diejenigen, die darüber reden, die sollen sich einmal einen Tag hinsetzen und sich das vergegenwärtigen. Es ist mental und körperlich extrem fordernd. Bezahlung ist das eine, da ist viel Luft nach oben. Und geringere Arbeitszeiten und mehr Personal stehen ganz oben auf der Forderungsliste. Doch was du mit Geld nicht kaufen kannst, ist Respekt. Wenn man den gibt, dann bekommt man so viel zurück, das ist atemberaubend. Jeder, der in der Pflege arbeitet, hat ein großes Herz und viel soziales Engagement.
Auch die Pensionen sind ein Dauerbrenner. Kosten Milliarden. Keine nachhaltigen Reformen in Sicht. Die Menschen werden immer älter, wer soll das finanzieren?
Die Pensionsdebatte kenne ich seit 40 Jahren. Da hat man mir gesagt, ich werde einmal keine haben. Man kann natürlich alles mit der Demografie-Keule erschlagen. Aber wenn man den Bundeszuschuss in Relation zur Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes setzt, sind die Pensionen auch in Zukunft finanzierbar. Was ich aber auch festhalte, ist, dass alles getan werden muss, um das gesetzliche Pensionsantrittsalter zu erreichen. Allerdings wird das nur möglich sein, wenn es auch in den Betrieben Aktivitäten in Richtung altersgerechte Arbeitsplätze gibt. Da ist die Chance jetzt groß, weil es aufgrund des Arbeitskräftebedarfs mehr Bereitschaft gibt, da genauer drauf hinzuschauen. Jedenfalls muss es mehr sein als Blabla.
All die aktuellen Debatten und Sorgen um Armut und Teuerung müssten doch ein fruchtbares Terrain für die Sozialdemokratie sein. Warum ist keine Ernte in Sicht? Welches Bild gibt da Ihre Partei ab?
Es gibt hochgradig viel Luft nach oben. Aber die SPÖ bewegt. Das sieht man an den vielen Tausenden neuen Mitgliedern in letzter Zeit. Das schafft sonst nur die Gewerkschaft.
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