Wegen der Reform des Maßnahmenvollzugs sollen im Herbst Dutzende Menschen entlassen werden - ohne Auflagen. Experten sind skeptisch und befürchten eine steigende Rückfallquote. Die SPÖ kündigt eine parlamentarische Anfrage an Justizministerin Alma Zadic (Grüne) an.
Wegen Überlastung im Maßnahmenvollzug wurden die Einweisungshürden zuletzt erhöht. Straftäter, die psychisch beeinträchtigt sind, sollen künftig nicht mehr so leicht in den Maßnahmenvollzug eingewiesen werden können. Mit den neuen Regelungen muss die Mindeststrafdrohung bei drei Jahren liegen, bei Jugendlichen muss eine Straftat vorliegen, auf die mindestens zehn Jahre Gefängnis stehen.
Dutzende Entlassungen ab September
Schlagend wird das im September. Dann müssen jene Menschen aus den forensisch-therapeutischen Zentren entlassen werden, die nach den neuen Regeln gar nicht hätten eingewiesen werden dürfen. Egal, wie lange der Tatzeitpunkt schon zurückliegt und wie lange sie schon im Maßnahmenvollzug sitzen. Laut Justizministerium steht mit Stichtag 1. September österreichweit die Entlassung von neun und in weiterer Folge von rund 50 Personen an, die zum Zeitpunkt der Einweisung unter 21 waren.
Fraglich ist nun, was mit den Menschen passiert, die ab Herbst entlassen werden. „Diese Menschen können besser außerhalb des Maßnahmenvollzugs versorgt und betreut werden“, erklärte das Justizministerium. Strafrechtsexpertin Katharina Beclin sieht aber „große Probleme auf uns zukommen“, weil die Entlassungen an keinerlei Bedingungen geknüpft sind. „Vor allem ab dem Moment, wo sie ihre Medikamente nicht mehr nehmen, weil niemand darauf schaut“, sagte sie im ORF-Radio. Beclin fürchtet, dass sich am Ende niemand für diese Menschen zuständig fühlen wird. „Hier trägt das Justizministerium die Verantwortung dafür, dass sie aus einem geschlossenen System, wo ihnen komplett alles abgenommen wurde, von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt werden“, erklärt die Expertin.
„Wie soll das funktionieren?“
Die Betroffenen sind nach ihrer Entlassung nicht verpflichtet, sich einer Behandlung zu unterziehen oder in betreute Wohneinrichtungen zu gehen. Marco Uhl vom Zentrum für soziale Arbeit, das sich in Tirol und Vorarlberg um regulär Entlassene kümmert, fürchtet daher, dass viele auf der Straße stehen werden. „Wie soll das plötzlich funktionieren?“, fragt er sich. Denn bei Personen, die zehn Jahre im Maßnahmenvollzug waren, würde eine ambulante Versorgung nicht ausreichen. Wenn ihre Gefährlichkeit „abgebaut“ sei, gebe es aber auch keinen Grund, diese Menschen in Krankenanstalten unterzubringen. „In betreuten Wohneinrichtungen werden sie auch schwer einen Platz finden“, so Uhl.
Das Justizministerium betont, dass sehr wohl Vorbereitungen für die Entlassungen getroffen worden seien: „Die zuständigen Einrichtungen wurden informiert, da mit einem erhöhten Bedarf an medizinischer Betreuung durch die Krankenanstalten zu rechnen ist.“ Kathrin Sevecke, Professorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der MedUni Innsbruck, widerspricht im Ö1-Gespräch: „Noch sind wir nicht vorgewarnt, wir haben noch keine Information zu dem, was auf uns zukommen wird.“ Sie warnt davor, dass junge Erwachsene wieder in Milieus abdriften könnten, wo Straftaten „normal“ sind.
Steigende Rückfallquote befürchtet
Auch Sozialarbeiter Uhl fürchtet, dass ohne entsprechende Nachsorge die Rückfallquote steigen wird - derzeit ist sie noch sehr niedrig. Laut Justizministerium werden die Betroffenen schon jetzt etwa mit begleiteten Ausgängen auf ihre bevorstehende Entlassung vorbereitet. Außerdem gebe es Angebote für freiwillige Bewährungshilfe. „Wenn alles auf Freiwilligkeit einerseits der Betroffenen basiert und andererseits das Sozial- und Gesundheitssystem einspringen muss, was es vorher nicht musste, werden sich da einige Fragen ergeben“, zeigt sich Uhl skeptisch.
SPÖ: „Enormes Sicherheitsrisiko“
SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim fordert von Justizministerin Zadic, den Übergang vom Maßnahmenvollzug in die Freiheit für Angehaltene ordentlich vorzubereiten: „Schon beim Beschluss durch die Bundesregierung haben wir davor gewarnt, beim Maßnahmenvollzug nur den halben Weg zu gehen. Die Justizministerin hat aber anscheinend genau das vor. Das birgt ein enormes Sicherheitsrisiko für die Menschen, die zuvor jahrelang in einer dichten und strukturierten Betreuung waren.“ Um zu überprüfen, ob solche Konzepte existieren, wird sie eine parlamentarische Anfrage einbringen.
Yildirim verlangt Verhandlungen mit den Ländern, in deren Kompetenz die Gesundheitsversorgung liegt, um eine sinnvolle betreute Entlassung zu ermöglichen. Eine „planlose Auflösung“ provoziere ein Sicherheitsrisiko für die Entlassenen und die Bevölkerung und setze die Akzeptanz für die Reform des Maßnahmenvollzugs aufs Spiel.
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