Es war ein ziemlich turbulentes Interview, das Bundeskanzler Karl Nehammer und ORF-Moderator Armin Wolf am Mittwochabend in der „ZiB 2“ lieferten. Thema war die Teuerung und Inflation in unserem Land und, ob die Maßnahmen der Regierung wirklich effektiv seien. Eine Botschaft des Politikers sorgte für besonders viel Aufsehen. Denn ihm zufolge war die Armut im Land unter seinem Vorgänger Christian Kern (SPÖ) sogar höher.
Die Diskussion war so hitzig, dass sie schließlich den Ablauf der Sendung durcheinanderbrachte. Denn es wurde ordentlich überzogen. „Sie vergessen: Die Armut war unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Christian Kern höher“, schoss der Kanzler in Richtung Armin Wolf.
Und man fragte sich sogleich: Stimmt das? Die „Kleine Zeitung“ führte einen Faktencheck durch und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis.
Grafik Statistik Austria: Armut 2008 - 2018
Grafik Statistik Austria: Armut 2018 - 2022
2017 war wirtschaftliche Situation ganz anders
Christian Kern war von Mai 2016 bis Dezember 2017 als SPÖ-Bundeskanzler im Amt und regierte damit etwa gleich lang, wie Nehammer derzeit. Damals war die wirtschaftliche Situation eine andere. 2017 lag die Inflation im Schnitt bei nur zwei Prozent, die Arbeitslosigkeit siedelte sich bei 8,5 Prozent an. Heute haben wir es mit einer ungewöhnlich hohen Inflation zu tun, die im Vergleich zum Vorjahr 9,8 Prozent ausmacht. Die Arbeitslosenquote ist dafür niedriger und beläuft sich auf 6,2 Prozent.
Armutsstatistik blieb aber gleich
In etwa gleichgeblieben dürfte laut der Analyse allerdings die Armutsstatistik sein - trotz der anderen Ausgangslage. Demnach galten im Jahr 2022 in Österreich 1.555.000 Menschen als von Armut und Ausgrenzung gefährdet. Im Jahr 2017, also zu Kerns Zeiten, war das bei 1.563.000 Menschen der Fall. Es waren also sogar um die Spur mehr. Anders ist jedoch, dass der Trend vor sechs Jahren in Richtung weniger Armutsgefährdung ging. Heute ist das umgekehrt.
Weniger manifest Arme
Einen deutlichen Unterschied gibt es in der Gruppe, die als manifest arm, also als erheblich materiell und sozial benachteiligt gilt. Ihr gehörten 2017 insgesamt 323.000 Menschen an. Heute sind es nur noch 201.000 Menschen.
Wie berechnet man eigentlich Armut?
Was bedeutet „arm“ in einem der reichsten Länder der Welt? Für die Bewertung gibt es eine EU-weite Erhebung, in deren Rahmen jedes Jahr zwischen Februar und Juli Haushalte befragt werden. Insgesamt 13 Grundbedürfnisse fließen in die Armutsstatistik ein wie etwa, ob man es sich leisten kann, unerwartete Ausgaben in Höhe von 1290 Euro zu tätigen, ein Mal auf Jahr auf Urlaub zu fahren, ein Auto zu besitzen, die Miete oder Kreditrate pünktlich zu bezahlen oder regelmäßig warm zu essen.
ÖVP-General: „Doppelmoral der SPÖ wurde entlarvt“
Die ÖVP sieht sich durch den Faktenchek jedenfalls bestätigt. „Die Doppelmoral der SPÖ wurde entlarvt. Ein Blick auf die Zahlen macht deutlich: Die Armutsgefährdung in Österreich war unter SPÖ-Kanzler Christian Kern höher als unter Bundeskanzler Karl Nehammer heute“, schrieb Generalsekretär Christian Stocker. Und fügte hinzu: „Wenn die SPÖ der Bundesregierung vorwirft, die Armut nicht wirksam zu bekämpfen, muss man ohne Zweifel die Doppelmoral dieser Partei anprangern. Die SPÖ wäre gut damit beraten, sich nicht als Moralapostel aufzuspielen, sondern vor der eigenen Haustüre zu kehren, bevor sie andere für eine erfolgreiche Sozialpolitik kritisiert.“
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