Brigittenau-Bezirksvorsteher Hannes Derfler (SPÖ) über Gewalttaten, Sittenwächter und Integration. Auslöser waren zwei Gewalttaten in seinem Wiener Bezirk - die Vergewaltigung durch einen Tunesier und der Macheten-Mord des Algerier-Clans. Brennpunktschulen, so sagt er, gibt es in Derflers Bezirk keine. Sittenwächter hätten ihn auch noch nicht angesprochen.
„Krone“: Herr Derfler, laut einem APA-Interview versuchen Sie nach den jüngsten Attacken erst einmal zu beruhigen. Was ist denn so Beruhigendes an einem Machetenmord und an einer Vergewaltigung in Ihrem Bezirk?
Hannes Derfler: Ich versuche, zu informieren. Ich sehe da gar nichts Beruhigendes dabei. Egal, worauf Sie hinauswollen.
Sie haben ja die APA gelesen, da steht: Bezirksvertretung ruft zu Beruhigung auf. Ist das falsch?
Nein, ich habe gesagt, man sollte die Kirche im Dorf lassen. Es geht darum, dass hier Verbrecher gegeneinander kämpfen. Darum geht’s. Ich sehe da nicht sehr viel Beruhigung, weil das ist eine furchtbare Geschichte, die da passiert ist. Es soll nur schon so sein, dass die Bevölkerung sich nicht selber bedroht fühlt.
Und Sie sind der Meinung, die Bevölkerung fühlt sich nicht bedroht?
Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, sie sollen sich nicht beunruhigt fühlen, weil die Leute untereinander eben diese Konflikte austragen.
Ist Ihnen geläufig, dass es für einen Unbeteiligten, der in einen solchen Konflikt gerät, nicht gut ausgehen könnte?
Natürlich ist mir das geläufig. Ich lebe ja auch in dieser Stadt.
Wie können Sie dann solche Dinge sagen?
Welche Dinge?
Man soll die Kirche im Dorf lassen, dass das Verbrechen untereinander wären.
Ja, man kann alles eskalieren oder deeskalieren, das sollte Ihnen ja auch ein Begriff sein. Und meine Aufgabe ist es, die Menschen zu beruhigen. Zu sagen, dass wir natürlich mehr Polizei fordern, dass man sich natürlich in solchen Situationen nicht einmischen soll, natürlich nicht. Aber es ist jetzt nicht so, dass jeder Mensch, der in der Brigittenau wohnt, sofort in Lebensgefahr schwebt.
Sie haben gesagt, es sei der falsche Ansatz, nun ganze Bevölkerungsgruppen zu kriminalisieren. Das ist mit Sicherheit richtig. Nichtsdestotrotz würde ich gerne von Ihnen wissen: Gibt es eigentlich auch Integrationsprobleme in dieser Stadt, und wenn ja, wo verorten Sie die?
Ich gehe davon aus, dass es solche Probleme gibt. Wir erleben es ja auch immer wieder.
Welche zum Beispiel sind das aus Ihrer Sicht?
Dass Menschen sich tatsächlich nicht integriert fühlen in dieser Stadt. Dass sie nicht am Gemeinwesen teilnehmen dürfen, weil sie keine Wahlmöglichkeit haben, weil sie nicht in die Gestaltung ihres Grätzels mit eingebunden sind. Das sind Sachen, wo ich sage, da gibt es tatsächlich Aufholbedarf.
Jetzt wird es bei Ihnen im Bezirk auch Menschen geben, die sagen, ich fühle mich in meinem Wien nicht mehr zu Hause als Wiener, weil sich eben so viel verändert hat. Was sagen Sie diesen Menschen?
Ich kann viel damit anfangen wegen „Wenn es mein Wien wäre“. Es ist ja auch nicht mein Wien. Ich darf hier wohnen, und ich bin sehr glücklicher Bezirksbewohner und Stadtbewohner, deshalb ist es noch immer nicht „mein Wien“.
Das heißt, ein gebürtiger Wiener darf nicht sagen „Das ist mein Wien“?
Ich hoffe, jeder, der hier wohnt, sagt „Das ist mein Wien“. Das eine schließt das andere ja nicht aus.
Anders formuliert: Was sagen Sie zu gebürtigen Wienern, die zu dieser Zuwanderung aktuell sagen: „Das ist mir zu viel Zuwanderung“?
Dass ich das nicht beeinflussen kann. Ich kann nicht beurteilen, wer zuwandert, wer nicht zuwandert. Es gibt keine Stelle im Bezirk, auf Bezirksebene, wo man sich anmelden muss und sagen, ich wohn jetzt hier. Das sollten Sie ja wissen.
Ja, aber Zuwanderung ist ja kein Bezirksthema
Hannes Derfler
Aber verstehen Sie diese Sorgen oder nicht?
Ich versuche, die Sorgen aller Menschen zu verstehen, aber ich kann wirklich nicht nachvollziehen, worauf Sie mit Ihrem Interview hinauswollen.
Ich stelle Ihnen ja nur Fragen. Ich weiß nicht, warum Sie sich persönlich angegriffen fühlen von Fragen über Zuwanderung. Die ist ja in der Brigittenau durchaus ein Thema, oder?
Ja, aber Zuwanderung ist ja kein Bezirksthema.
Aber Sie sind Bezirksvorsteher. Zu Ihnen werden ja Menschen kommen und über Sorgen berichten.
Ja, und bei mir wohnen 87.000 Menschen im Bezirk.
Und mich würde interessieren, was Sie diesen Menschen sagen. Oder kommen solche Menschen nicht zu Ihnen?
Solche Diskussionen führe ich hier bei mir im Büro tatsächlich nicht.
Sie wohnen ja selbst auch in der Brigittenau. Wie lange wohnen Sie dort schon und wohnen Sie gerne da?
Seit den 70er-Jahren.
Wie hat sich die Brigittenau sei den 70er-Jahren aus Ihrer Sicht verändert?
Sie ist moderner geworden, sie ist Wohnbezirk geworden. Sie ist weniger Gewerbebezirk geworden. Sie ist zentraler geworden, weil sie durch die U-Bahn näher zum ersten Bezirk gewandert ist. In dieser Art und Weise hat sie sich massiv geändert.
Ich habe auch einmal in der Brigittenau gewohnt. In der Engerthstraße. Wie ich vor zehn Jahren dort weggezogen bin, wurden gerade im Bereich Millennium City diese Sittenwächter aktuell, die auch Frauen ermahnt haben, sie sollen sich besser anziehen. Nehmen Sie das auch wahr?
Natürlich. Ich habe auch Zeitung gelesen.
Sie sind auch dort Bezirksvorsteher.
Mich selber hat nie jemand angesprochen in der Millennium City, wenn Sie das meinen.
Wenn Frauen angesprochen werden, die zu kurze Röcke tragen, sind Sie auch nicht unbedingt Zielpublikum, oder?
(Lacht) Genauso ist es. Aber es wurde auch meine Tochter nicht angesprochen, es wurde auch meine Frau nicht angesprochen. Also ich selber konnte es nicht erleben. Muss ich auch nicht unbedingt haben. Aber ja, ich habe das wahrgenommen, es ist passiert.
Was könnte die Politik, egal, ob Bundespolitik oder Stadt- oder Bezirkspolitik, gegen solche Tendenzen unternehmen?
Ich glaube, da sind die Möglichkeiten sehr eingeschränkt. Wenn jemand so ein Gedankengut hat und das dann öffentlich kommuniziert, kann man im Nachhinein dann reagieren und das verurteilen, aber im Vorfeld kann man so etwas sehr schwer verhindern.
Das heißt, man ist als Politiker und als Bevölkerung diesen Tendenzen schutzlos ausgeliefert? Man kann halt nichts machen, verstehe ich Sie da richtig?
Das ist wie beim Attentat. Man ist nachher immer viel gescheiter als wie vorher. Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können, dass jemand einmal Frauen anspricht, dass ihre Röcke zu kurz sind. Ja, so gesehen war man vorher hilflos, weil man über das nicht nachgedacht hat. Im Nachhinein hat man darüber nachgedacht, jetzt gibt’s das aber auch nicht mehr. Da gibt es jetzt auch entsprechende Kontrollen der Polizei, wenn so etwas vorkommen sollte, es gibt Beschwerdestellen, wo man sich da eben beschweren kann und informieren kann. Ich glaube auch, dass da die Polizei massiv nachgerüstet hat und sensibler geworden ist auf dem Gebiet. Also ganz so hilflos, wie Sie uns da darstellen, sind wir nicht.
Was ist eine Brennpunktschule?
Hannes Derfler
Haben Sie in Ihrem Bezirk auch Brennpunktschulen?
Was ist eine Brennpunktschule?
Muss ich Ihnen das erklären, oder wissen Sie es wirklich nicht?
Mich würde interessieren, was Sie darunter verstehen.
Eine Brennpunktschule ist eine Schule zumeist auch mit einem hohen Migrationsanteil, aus denen sich Direktoren an uns wenden, weil die Situation mittlerweile untragbar geworden ist. Da sind wir wieder bei beim Thema Sittenwächter, hohe Gewaltbereitschaft, immer wieder kommt es zu Polizeieinsätzen usw.
Nach der Beschreibung, die Sie jetzt genannt haben, glaube ich nicht, dass ich so eine Schule habe. Ich habe tatsächlich viele Schulen im Bezirk mit einem sehr hohen Ausländeranteil, die habe ich. Es gibt auch in Schulen Konflikte, so wie in jeder Schule auch. Aber die von Ihnen jetzt angesprochenen Beispiele, da würde mir jetzt keine Schule einfallen. Und ob sich jetzt Schulleiter an Sie gewandt haben, weiß ich nicht, das entzieht sich meiner Kenntnis.
Also nach dieser Definition haben Sie keine Brennpunktschule in Ihrem Bezirk.
Nein.
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