Autor Robert Schneider trifft in seiner „Krone“- Serie „Fremd daheim“ Menschen, die aus anderen Regionen nach Vorarlberg gezogen sind. Dieses Mal hat er sich mit der aus dem Tirol stammenden Sonja Egger unterhalten.
Die Fremde, jener Begriff, dem ich Sonntag für Sonntag in unterschiedlichen Portraits nachspüren will, muss nicht zwangsläufig räumliche Entfernung bedeuten. Es muss kein großes Meer zwischen alter und neuer Heimat liegen. Viele Flug- oder Bahnstunden. Bisweilen kann das Nachbardorf, in das man zieht, schon Fremde bedeuten. Oder wie im heutigen Gespräch, ein Umzug von Tirol nach Vorarlberg. In einer Welt, die zur Nussschale geworden ist, die keine weißen Flecken mehr kennt und in deren Städten wir uns via Google Maps wie Einheimische bewegen, müsste man glauben, dass sich auch kulturelle, sprachliche und soziologische Unterschiede allmählich auswaschen, an Kontur verlieren. Aber dem ist nicht so. Grenzen wird es immer geben. Schlagbäume im Kopf, in den Herzen. So ein Schlagbaum war von alters her der Arlberg, und ist es, wie ich verblüfft an meiner jungen Gesprächspartnerin feststelle, trotz Vernetzung und stetiger Erreichbarkeit noch immer.
Sonja Egger, die in der Vorarlberger Landesregierung unter anderem für das Personenstandswesen zuständig ist, stammt aus dem kleinen Bergdorf Kolsassberg im Tiroler Unterland. „Ich bin 2007 nach Österreich ... ähm, ich meine natürlich nach Vorarlberg gekommen“, beginnt sie zu erzählen und muss selbst über den Lapsus lachen. „Tja, da haben wir es schon!“
Robert Schneider: Frau Egger, Sie haben Fotos aus Ihrer Kindheit mitgebracht. Hier sind Sie im Dirndl und mit einer Kuhglocke zu sehen. Was hat das auf sich?
Sonja Egger: Das ist ein alter Brauch bei uns, rund um Ostern herum, und nennt sich „Grosausleita“ ...
Wie bitte?
Grasausläuten. Das heißt, man hat im Frühjahr mit Glocken und Schellen symbolisch den Winter ausgetrieben. Das war allerdings nicht in ganz Tirol so. Nur bei uns, in der Gegend von Schwaz, wo der Brauch heute noch gepflegt wird. Wir Kinder sind mit den Glocken von Haus zu Haus gegangen. Da gab’s dann ein bisschen Taschengeld, eine Jause. Man saß gemütlich beisammen.
Sie sind auf einem Bauernhof groß geworden?
Ja. Der Papa war Landwirt, hauptberuflich aber Waldaufseher. Jetzt ist er in der Pension. Die Mama war gelernte Schneiderin und Hausfrau. Sie hat uns drei Kinder aufgezogen. Sie sind zwar geschieden, leben aber immer noch in Tirol.
Was haben Sie gelernt?
Ich habe die HBLA, also die Höhere Bundeslehranstalt für Land- und Ernährungswirtschaft absolviert und dort Matura gemacht, dann in Innsbruck Diplompädagogin studiert. Aber ich merkte schon während des Studiums, dass Unterrichten nicht unbedingt meine Berufung ist. Habe aber trotzdem abgeschlossen. Das hat meinem Selbstbewusstsein geholfen, vor Leuten reden und so.
Dann haben Sie sich in einen Vorarlberger verliebt?
Überhaupt nicht. Eine Schulfreundin, die dieselbe Ausbildung hatte wie ich, bekam eine Stelle in der Landwirtschaftsschule in Hohenems. Die sagte mir, dass sie noch jemanden brauchen könnten. Ich erhielt einen befristeten Vertrag, unterrichtete das Freifach Kochen und machte Internatsdienst. Ich hatte damals noch gar keinen Plan, sagte mir: okay, zwei Jahre bleibe ich in Vorarlberg und dann gehe ich wieder zurück nach Tirol.
Daraus ist aber nichts geworden.
Ja, weil meine Schulfreundin noch ein Jahr verlängerte. Also bewarb ich mich im Landesdienst. Und so schlimm war Vorarlberg nun auch wieder nicht. Ich habe mir langsam aber sicher einen Freundeskreis aufgebaut.
Wenn Sie sich an die Anfänge zurückerinnern, war es schwierig, unter Gleichaltrigen Anschluss zu finden?
Das stimmt. Die Vorarlberger sind grundsätzlich distanziert, aber sehr höflich und nett. Nach dem Motto: Wenn ich dich nicht kenne, bis hierher und nicht weiter. Da braucht man dann jemanden, der dich sympathisch findet und mitzieht. Das ist im Tiroler Unterland ganz anders. Da zahlt jemand eine Runde. Du kannst dich dazu setzen, bist gleich ein Kollege, gehörst ohne langes Fragen dazu. Man hat einfach Spaß miteinander. Der Tiroler ist an und für sich geselliger, auch lauter und geht auf die Menschen zu.
Ich dachte, diese Berührungsängste des Vorarlbergers mit anderen Sprachregionen ist zumindest in Ihrer Generation nun kein Thema mehr.
Nein, so einfach ist es nicht. Der Dialekt ist für mich als Tirolerin einfach schwierig. Am Anfang verstand ich kaum ein Wort. Schon gar nicht, wenn Schüler in der Landwirtschaftsschule Bregenzerwälder Dialekt redeten.
Seit 16 Jahren leben Sie jetzt hier. Haben Sie einen Herzensmenschen gefunden, der aus Vorarlberg stammt?
Ja, das habe ich. Aber die ersten drei, vier Jahre waren wirklich hart. Da fühlte ich mich oft fehl am Platz.
Darf man fragen, ob Sie in festen Händen sind?
Ja, ich habe einen Freund.
Einen Vorarlberger?
Nein. Er stammt aus Südamerika. Wir haben uns aber hier in Vorarlberg kennen gelernt.
Sind Sie in Vorarlberg heimisch geworden?
Schon. Ich bin hier heimisch, fühle mich wohl. Also im Herzen bin ich natürlich immer noch Tirolerin, würde aber nie mehr in mein Bergdorf zurückkehren. Das ist einfach nicht meine Welt. Hier in Vorarlberg habe ich mein Umfeld, meine Wohnung. Den Bodensee. Meine Mama zum Beispiel, die kommt oft zu mir und macht hier Urlaub.
Hat der Vorarlberger Dialekt auf Ihren abgefärbt?
In Tirol sagt man mir, du benutzt viele Wörter aus dem Ländle, und im Ländle heißt es, ich würde immer noch ganz starken Tiroler Dialekt sprechen. Aber eines mache ich ganz sicher nicht: auf Biegen und Brechen den Vorarlberger Dialekt lernen oder gar sprechen.
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