Album „Tension“

Kylie Minogue: Geradeaus durch den Disco-Tunnel

Musik
23.09.2023 09:00

Nach dem mühevollen Stillsitzen während der Corona-Pandemie musste Australiens Pop-Königin Kylie Minogue Energie abstoßen. Auf ihrem 16. Studioalbum „Tension“ zitiert sie sich und ihre elektronische Disco-Lieblingsära einmal mehr selbst, macht das aber so vif und herzhaft, dass es noch immer Spaß macht und Kurzweil bringt. Aufgewärmtes schmeckt oft besser.

(Bild: kmm)

Powerfloh nennt man für gemeinhin etwas klein gewachsenere Menschen mit Hummeln im Hintern. Das kann als despektierlich oder auch bewundernd gewertet werden, es obliegt zumeist der jeweiligen Betrachtungsweise. Doch wo Kategorisierung, da auch Gefahr. Ist so etwas eigentlich schon beleidigend und wird man dafür gecancelt? Immerhin befindet sich Humor im Wandel, so mancher würde ihn überhaupt am liebsten abschaffen. Wenn man den Terminus Powerfloh nun aber bei Kylie Minogue anwendet, braucht man sich diesbezüglich wohl wenig Sorgen zu machen. Wer nämlich dermaßen dick in die frivole Sex-Kiste greift wie die etablierte Australierin, der braucht sich über Cancel Culture überhaupt keine Gedanken zu machen.

Musikalischer Softporno
Auf ihrem mittlerweile 16. Studioalbum „Tension“ surrt es nur so vor unzweideutigen Anspielungen und direkten Sexualisierungen, dass einem regelreicht schwindlig werden könnte. „Things We Do For Love“ zählt sie auf, im Bett sei sie sowieso eine „10 Out Of 10“ und dazwischen gibt es das „Green Light“, mit ihr in medias res zu gehen. Mit 55 will es Kylie noch einmal wissen und kontert auf die allgemeine Fehleinschätzung, Sex im Alter wäre ein Tabuthema. „Tension“ ist aber nicht nur ein musikalisch aufgeladenes Softpornoheftl, sondern auch eine klangliche Befreiung aus dem engen Korsett der Pandemie. Jawohl, richtig gehört. Auch dreieinhalb Jahre nach dem ersten Lockdown schwingt noch bei manchem das späte Pendel des Daheimbleiben-Schocks nach. Für eine umtriebige Vielarbeiterin wie Minogue war das erzwungene Sitzen auf dem eigenen Hintern offensichtlich ein persönliches Guantanamo-Erlebnis.

Wie schon auf dem 2020er-Vorgänger „Disco“ ist Kylie im Prinzip wieder ganz Kylie und das macht sie per se sehr sympathisch. Anstatt mühsam irgendwelchen musikalischen Trends nachzuhecheln und zwanghaft die Generation TikTok für sich einsacken zu wollen, zieht sie ihren Lackstiefel stramm durch und zelebriert Tanzflächen-Disco-Pop der Marke 1986 mit viel Millenniums-Beat-Touch. Die eingängige Single „Padam Padam“ hat sich nicht umsonst rundum greifend in Gehörgängen und oberen Chartregionen festgekrallt. Kylie weiß mit der Erfahrung von Songs wie „I Just Can’t Get You Out Of My Head“ sehr genau, wie man eine siechende Party so richtig in Fahrt bringt. Dieses Talent zieht sie unerbittlich durch, womit auch keine Notwendigkeit besteht, den stilistischen Tunnelblick zu weiten.

Hedonismus in der Dorfdisco
Wobei - so ganz im eigenen Saft bleibt die Australierin natürlich nicht verhaften. Hier und da schielt man mit Latin-Pop-Zitaten auf den immer größer werdenden Hispano-Markt, dazu werden ihre gehauchten Bettgeschichten partiell mit Swing- und Motown-Zitaten instrumentiert. Songs wie der Titeltrack, „You Still Get Me High“ oder „Vegas High“ sind wie geboren für den hedonistischen Exzess mit schalem Cola-Whisky in der Dorfdisco. Da Kylie auf Englisch singt und lieber zart säuselt als wild grölt, umgeht sie auf „Tension“ auch die Gefahr, dass ihre Partyplatte in die tiefen Regionen des Ballermannexzesses hinabrutscht. Wie im Stroboskoplichtrausch shuffelt und tänzelnd man sich durch die Songreihenfolge und weiß irgendwann gar nicht mehr, wo Anfang, Mitte und Ende sind. Dramaturgische Spannungsbögen sind ohnehin nur schnöde Spaßverderber und die gemeinsamen Zeiten mit Dandy Nick Cave liegen schon weit zurück im Jahre Schnee.

Ein konzeptioneller Unterbau war ohnehin nie geplant, das Zauberwort in der Entstehungsphase hieß Eklektizismus. Jeder Song solle für sich stehen, eine Geschichte erzählen. Dass sich die Themenpalette im Kylie-Multiversum dann doch wieder auf das erprobte Dreigestirn Sex, Party und Begehren beschränkt, dient durchaus erfolgreich als Richtungshilfe. Die in zeitgemäßen Songtexten so gerne wiedergegebene Botschaft von der Selbstermächtigung ist bei Minogue nur im Hintergrund zu verorten. Das ist insofern wenig verwunderlich, als sie sich seit knapp 40 Jahren ohnehin schon alles genommen hat, was es im Pop-Genre abzuholen gab. Vom Thron lässt es sich natürlich ganz gemütlich regieren. Geschickt verweben ihre Lieder Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, weil der moderne Popsektor ohnehin von Redundanz durchzogen ist und mangelnde Innovation vom Retrofuturismus ersetzt wurde.

Der Klangbesen kehrt gut
Die Beats segeln wie Seifenblasen an einem vorbei und erinnern immer wieder daran, wie zwanglos und angenehm man sich vor gut 20 Jahren noch durch das Nachtleben treiben lassen konnte, bevor die Welt an allen Ecken und Enden langsam kollabierte. Dass Kylie ausgerechnet „Tension“ als Albumtitel für dieses freizügig-leichte Werk gewählt hat, gemahnt fast schon an dadaistische Ironie. Von Spannungen ist weit und breit nichts zu sehen, dafür wagt sich das Album nicht weit genug aus der Komfortzone. Das ist aber auch nicht der Anspruch, den die vife Sängerin auf ihrem Spätwerk verfolgt. Vielmehr geht es um die ewige Jugend, um das völlige Ignorieren von Negativität und den Unwillen sich zu weit aus dem eigenen Kokon zu schälen. Der alte Klangbesen wurde etwas aufgepeppt, kehrt aber immer noch sehr gut und sauber. Und jetzt ab in die Disco!

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