Knalleffekt beim Österreichischen Rundfunk! Teile des ORF-Gesetzes sind laut dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) verfassungswidrig. Konkret geht es dabei um die ORF-Gremien - die Bundesregierung habe dabei einen übermäßigen Einfluss. Die Bundesregierung wolle jedenfalls „unverzüglich die Arbeit an einer Gremienreform im ORF“ aufnehmen, heißt es.
Der VfGH hebt damit Teile des neuen ORF-Gesetzes bereits wieder auf, noch bevor diese überhaupt in Kraft getreten sind. Es handelt sich dabei um einzelne Bestimmungen des ORF-Gesetzes über die Bestellung und die Zusammensetzung des Stiftungsrats und des Publikumsrats, wie der Gerichtshof am Dienstag erklärte.
In der Erklärung des VfGH heißt es weiter: Kein staatliches Organ dürfe einseitigen Einfluss auf die Zusammensetzung der kollegialen Leitungsorgane des ORF haben, der ihre Unabhängigkeit gefährden kann. Gemeint ist damit ein Ungleichgewicht bei den ORF-Ratsbestellungen. Während etwa im Stiftungsrat die Bundesregierung derzeit neun Mitglieder bestellt, bestellt der Publikumsrat nur sechs Mitglieder.
Verstoß gegen Unabhängigkeit
„Bei diesen Mitgliedern handelt es sich um eine relativ große Gruppe, die ein deutliches Übergewicht zu den vom (gesellschaftlich repräsentativ zusammengesetzten und staatsfernen) Publikumsrat bestellten sechs Mitgliedern hat. Das verstößt gegen die Verfassungsgebote der Unabhängigkeit und des Pluralismus bei der Bestellung und Zusammensetzung der Leitungsorgane des ORF“, heißt es in dem Erkenntnis.
Staunen im Medienministerium
Aus dem Medienministerium heißt es dazu gegenüber der "Krone": „Die Erkenntnis des VfGH wurde uns übermittelt und wird derzeit von den Fachexpertinnen und Fachexperten des Verfassungsdienstes geprüft. Überraschend ist jedenfalls, dass die Gremienstruktur seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert ist, und dies jetzt mit einem Mal verfassungswidrig ist.“
Der ORF-Stiftungsrat ist das oberste Aufsichtsgremium des ORF und hat 35 weisungsfreie, ehrenamtliche Mitglieder. Die Mitglieder des Gremiums werden von Regierung (9), Parlamentsparteien (6), Bundesländern (9), ORF-Publikumsrat (6) und Zentralbetriebsrat (5) beschickt und sind - abgesehen von wenigen Ausnahmen - in parteipolitischen „Freundeskreisen“ organisiert. Seit Längerem verfügt die ÖVP mit von ihr entsendeten und türkis-nahen Räten über eine Mehrheit. Aufgabe der Stiftungsräte ist unter anderem, alle fünf Jahre den ORF-Generaldirektor und kurze Zeit später auf dessen Vorschlag höchstens vier Direktoren und neun Landesdirektoren zu bestellen.
Im Falle des Publikumsrats bestimmt das Bundeskanzleramt 17 Personen aus 14 Vertretungsbereichen auf Basis von Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen. Die weiteren 13 Mitglieder werden direkt bestellt - etwa von diversen Kammern. Der Publikumsrat entsendet sechs Mitglieder in den ORF-Stiftungsrat.
Spielraum des Kanzlers geht zu weit
Auch an den Bestellungsmodalitäten zum Publikumsrat stößt sich der VfGH. In diesem Gremium bestellt der Bundeskanzler (derzeit die Medienministerin Susanne Raab) 17 Räte, während 13 Mitglieder von im Gesetz festgelegten anderen Stellen (Kammern, Kirchen, Parteiakademien) nominiert werden. Der VfGH sieht darin einen übermäßigen Einfluss der Bundesregierung.
Der Gesetzgeber müsse die Regelung so austarieren, „dass die unmittelbar von repräsentativen Einrichtungen bestellten Mitglieder zumindest im selben Ausmaß im Publikumsrat vertreten sind wie die vom Bundeskanzler (bzw. von der Medienministerin) in Auswahl aus Vorschlägen bestellten Mitglieder“. Durch die aktuellen Bestimmungen sei der Spielraum des Bundeskanzlers bei der Wahl zu weit.
Die Regierung bzw. deren Nachfolger haben bis 31. März 2025 Zeit, eine Neuregelung zu treffen. Für die Gremien ändert sich bis dahin vorerst nichts. Auch bisherige Entscheidungen der Gremien sind vom VfGH-Erkenntnis nicht betroffen.
ÖVP zeigt sich überrascht
Man nehme „das heute veröffentlichte Erkenntnis des VfGH sehr ernst“ und verstehe es „als Auftrag an die aktuelle Bundesregierung“, um nach „eingehender Prüfung“ der VfGH-Ausführungen tätig zu werden, so die Mediensprecherin der Grünen, Eva Blimlinger.
„Überraschend ist jedenfalls, dass die Gremienstruktur seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert ist, und dies jetzt mit einem Mal verfassungswidrig ist“, heißt es in einer Stellungnahme des von Susanne Raab (ÖVP) geführten Medienministerium.
NEOS wollen zurück an den Start
Diese Regierungsbekundungen fanden die NEOS-Vertreter bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz zum Lachen. So hätten die Regierungsparteien bei der Reform des ORF-Gesetztes alle Möglichkeiten zur notwendigen „Entpolitisierung“ gehabt. Nun müsse erneut der VfGH mit einem „nicht überraschendem“ Erkenntnis der Regierung die Rute ins Fenster stellen, damit diese tätig wird.
Es sei nun laut Meinl-Reisinger „völlig ausgeschlossen, dass ÖVP und Grüne jetzt hinter geschlossenen Türen herummauscheln“. Es brauche in den kommenden Wochen Verhandlungen mit allen Parteien: „Die Zeit, an kleinen Schräubchen zu drehen, ist wirklich vorbei.“
Doskozil sieht „klaren Auftrag zu Entpolitisierung“
Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), der den Prüfantrag initiiert hat, sprach in einer ersten Reaktion von einem „demokratiepolitischen Erfolg“ und einer „historischen Chance für die Medienlandschaft in Österreich“. Die Entscheidung des Höchstgerichts sei ein „klarer Auftrag zu einer Entpolitisierung des ORF“.
FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl und der freiheitliche Mediensprecher Christian Hafenecker erneuerten unterdessen ihre hasche Kritik am ORF: Anstatt einer Reparatur des ORF-Gesetzes brauche es „gleich eine Totalreform des ORF in Richtung eines verschlankten ‘Grundfunks‘“, heißt es in einer Aussendung
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