Der Streit um die Tiroler Anti-Transitmaßnahmen geht in eine höhere Instanz - nachdem sich zuletzt die italienischen Politiker massiv darüber echauffiert hatten, zieht Italien jetzt vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Es handle sich um eine „schwierige, aber zwingende Entscheidung angesichts der Haltung der EU-Kommission und der Unmöglichkeit, eine Verhandlungslösung zu erreichen.“
Der italienische Ministerrat hat am Montagvormittag bei einer Sitzung „grünes Licht“ für die angekündigte Klage gegeben. „Wir prüfen, was am Brenner geschieht. In diesem Fall muss Vernunft überwiegen. Ich hoffe, dass am Schluss eine Lösung gefunden wird“, sagte Außenminister Antonio Tajani (Forza Italia) kurz vor der Entscheidung.
„Erstmals in der Geschichte der italienischen Republik hat der Ministerrat den Rekurs beim EuGH in Luxemburg gegen die Transitverbote beschlossen, die die österreichische Regierung einseitig am Brenner aufgezwungen hat“, erklärte Salvini. Damit beginne ein „präzedenzloses Verfahren, in dem wir auch andere Länder einbinden werden“, erklärte der Lega-Politiker bei einer Pressekonferenz.
Tajani: „Hoffe, dass Österreich begreift, ...“
Tajani betonte, dass er nach wie vor „gute Beziehungen“ zu Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) habe. „Ich hoffe, dass Österreich begreift, dass es wirtschaftliche Interessen gibt. Nicht nur auf italienischer Seite und natürlich stets unter Berücksichtigung der Umwelt. Ich hoffe, dass die Vernunft überwiegen wird, denn harte Positionen drohen nur Schäden anzurichten“, erklärte der Minister.
Green Deal der EU könnte Klagschance schmälern
„Italien wird mit seiner Maximalforderung, nämlich die Aufhebung aller Tiroler Verbote, keinen Erfolg haben“, hieß es von Tirols Landeschef Mattle. Rechtsexperten - wie der Europarechtler Walter Obwexer, der die Landesregierung berät - „geben der Klage keine große Chance.“ Mattle hielt außerdem fest, dass eine Klage gegen die Anti-Transitmaßnahmen „nicht weniger“ bedeute, „als gegen die verkehrsgeplagten Menschen entlang des Brennerkorridors vor Gericht ziehen zu wollen.“
Er berief sich auf die Alpenkonvention, das Weißbuch Verkehr sowie den Green Deal der EU-Kommission, die allesamt „eine Reduktion des Verkehrs und eine Verlagerung auf die Schiene“ vorsehen. Die Transitfrage könne nicht vor Gericht, „sondern muss am Verhandlungstisch mit neuen Entlastungsmaßnahmen gelöst werden“, sagte er und verwies auf „vernünftige Stimmen hinter den Kulissen, die an gemeinsamen Lösungen interessiert sind.“
Jetzt ist Gerichtshof am Zug
Laut Artikel 259 kann jeder EU-Mitgliedstaat den EuGH anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderes Mitglied gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, hatte Salvini vergangene Woche betont. Bevor ein Mitgliedstaat wegen einer angeblichen Verletzung der Verpflichtungen aus den Verträgen gegen einen anderen Staat Klage erhebt, muss allerdings die EU-Kommission damit befasst werden.
Die EU-Kommission erlässt eine mit Gründen versehene Stellungnahme und gibt den beteiligten Staaten zuvor Gelegenheit zu schriftlicher und mündlicher Äußerung in einem kontradiktorischen Verfahren. Gibt die Kommission innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, in dem ein entsprechender Antrag gestellt wurde, keine Stellungnahme ab, so kann ungeachtet des Fehlens der Stellungnahme vor dem Gerichtshof geklagt werden.
Gewessler will von Plan nicht abrücken
Die Diskussion um die Tiroler Anti-Transitmaßnahmen wie Sektorales Fahrverbot, Nachtfahrverbot oder Blockabfertigungen schwelt seit Jahren zwischen Italien und Deutschland auf der einen und Österreich auf der anderen Seite. Die schwarz-rote Tiroler Landesregierung sowie Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatten zuletzt wiederholt klargemacht, nicht von der Regulierung des Schwerverkehrs abrücken zu wollen.
Salvini geißelte dagegen - unter anderem vergangene Woche am Brenner - stets das Vorgehen Österreichs und betrachtet es als EU-rechtswidrig. Der EU-Kommission warf er Untätigkeit vor, da sie nicht von sich aus ein EU-Vertragsverletzungsverfahren einleitet. Auf regionaler Ebene konnten dagegen diplomatische Erfolge erzielt werden: Tirol, Südtirol und Bayern einigten sich auf die Etablierung eines Slot-Systems, einer buchbaren Autobahn. Dafür ist allerdings die Zustimmung der Nationalstaaten und ein Staatsvertrag notwendig.
Ein solcher ist noch in weiter Ferne. Denn Salvini zeigte sich bisher strikt ablehnend - er will erst darüber reden, wenn die transiteinschränkenden Maßnahmen und Fahrverbote aufgehoben werden. Auch Deutschland reagierte sehr reserviert.
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