Der Rumäne Rares Tudose hatte nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahre 2014 Angst, in einen Krieg hineingezogen zu werden. In Vorarlberg hat er weit mehr als nur Frieden gefunden.
„Von mir aus gerne per Du. Ich heiße Rares. Wie ’Bares für Rares’“, sagt der junge Rumäne, der mir gegenüber steht. Zum Fototermin hat er eigens seine Feuerwehruniform angezogen. „Es war selbstverständlich, dem Land, das mich mit so offenen Armen aufgenommen hat, etwas zurückzugeben. Darum bin ich zur Feuerwehr gegangen. Vorarlberg gab mir die Chance, zu beweisen, dass wir Rumänen anders sind.“ Der 37-jährige Rares Tudose spricht fließend Deutsch. Das hat er schon in Rumänien gelernt, in Kronstadt (heute Brasov), das einst eines der Zentren der Siebenbürger Sachsen war. Seit 2014 lebt Rares jetzt in Vorarlberg und arbeitet als EDV-Techniker bei den Bregenzer Festspielen.
Robert Schneider: Jetzt kommt wieder die kalte Zeit. Unter der Ceausescu-Diktatur wurde den Genossinnen und Genossen allenthalben Strom und Heizung abgedreht. Erinnerst Du dich noch daran?
Rares Tudose: Natürlich. Im Winter hatten wir nur bis ca. 22 Uhr Strom. Es gab da einen Witz, den man sich heimlich erzählt hat. Woran erkennt man eine Kältewelle? Wenn die Politiker ihre Hände in die Hosentaschen stecken. Und wenn man dagegen aufbegehrt hat, sagte der Blockchef: „Ist doch nicht kalt. Dein Atem dampft jedenfalls nicht. Was regst Du dich auf?“
Ceausescu wurde 1989 gestürzt. Damals warst Du drei Jahre alt. Erinnerst Du dich wirklich noch an diese Zeit?
Das war eine so traumatische Zeit, dass ich mich tatsächlich an gewisse Dinge erinnere. Zum Beispiel musste ich Mama und Papa mit Genosse und Genossin ansprechen, weil in unserem Wohnblock sehr parteifromme Leute wohnten. Ich war mehr oder weniger Parteieigentum, verstaatlicht, wenn du so willst. Dann erinnere ich mich, dass ich so gern in der Badewanne geplanscht hätte. Aber das ging nicht, weil es selten warmes Wasser gab. Ja, und ich habe noch Bilder von endlosen Menschenschlangen im Kopf, die um Brot und andere Lebensmittel anstanden.
Du bist ein Einzelkind. Was haben deine Eltern gearbeitet?
Beide waren Ingenieure. Mein Vater, der Elektrotechniker war, hat auf der Uni unterrichtet. Leider ist er während der Pandemie an Corona gestorben. Die Mama lebt noch in Kronstadt.
Zum Beispiel musste ich Mama und Papa mit Genosse und Genossin ansprechen, weil in unserem Wohnblock sehr parteifromme Leute wohnten. Ich war mehr oder weniger Parteieigentum, verstaatlicht, wenn du so willst.
Rares Tudose
Wie verlief die Revolution in Kronstadt? Hast Du daran noch Erinnerungen?
Wie gesagt, es sind Bilder, Klänge und Gerüche. Ich weiß nur, dass es unheimlich laut in der Stadt war. Ein ständiger Lärmpegel. Immer wieder Schüsse. Ich dachte, die stammen von Feuerwerksraketen. Es war ein unheimliches Durcheinander. Erst später habe ich begriffen, worum es ging. Die Securitate, also der Geheimdienst, schoss auf die Polizei und umgekehrt. Dann war auch das Militär involviert, und weil die Generalmobilmachung ausgerufen wurde, bewaffnete sich auch die Bevölkerung. Das artete völlig aus. Ich weiß noch genau, wie es damals gerochen hat. Da lagen viele tote Menschen herum. Jedenfalls war die Zahl der Toten in unserer Stadt weit höher, als später von offizieller Seite angegeben wurde.
Das ist wohl noch lange nicht aufgearbeitet, ähnlich wie im Kosovokrieg.
Besonders in meiner Generation ist das immer noch ein großes Thema. Als mein Vater im Sterben lag, sagte er: „Wir müssen mit unseren Fehlern zurechtkommen, aber Du lebst jetzt wenigstens in einem freien Land."
Du hast Elektronik- und Computerwissenschaften in Rumänien studiert. Und dann nichts wie weg aus dem Land?
Ich wollte gar nicht weg. Ich habe bei IBM gearbeitet und für damalige Verhältnisse sehr gut verdient. Die Wohnung war abbezahlt, das Auto. Außerdem gibt es in Rumänien wunderschöne Frauen. Nein, der Grund war ein ganz anderer. Am 27. Mai 2014 erhielt ich einen Brief. Darin stand, dass es unter Umständen zu einer Mobilmachung kommen wird. Hintergrund war die Annexion der Krim durch Russland. In Rumänien ging man tatsächlich davon aus, dass es schon 2014 so krachen wird, wie es im vergangenen Jahr gekracht hat. In den Krieg wollte ich unter keinen Umständen. Ich wollte damals heiraten, telefonierte mit dem Militärkommando und fragte, wie es aussieht. Dort hieß es, wenn du mindestens ein Jahr im europäischen Ausland bist, dürfen sie dich nicht mehr einziehen. Da habe ich nicht lange gefackelt. Am 5. Juni fing ich an, als Leasingarbeiter in der Haustechnik bei den Bregenzer Festspielen zu arbeiten. Heute bin ich dort in der EDV beschäftigt. Ich dachte zuerst, das ist eine gute Überbrückung, bis ich weiß, was wirklich in meinem Land Sache ist. Jetzt sind es neun Jahre, seit ich hier in Vorarlberg bin.
Kein Heimweh nach Kronstadt?
Jein. Natürlich fehlen mir meine alten Kumpels, mit denen ich studiert habe. Aber das Leben hier in Vorarlberg ist, wie soll ich sagen ... ich versuche es andersrum: Das Leben in Vorarlberg ist so, wie es meine Großeltern in Rumänien beschrieben haben, bevor die Kommunisten an die Macht kamen.
Kannst Du mir das genauer beschreiben?
Hier ist es noch irgendwie heimelig. Sagt man das so? Die Menschen sind herzlich, haben ein Wärme. Dann läuft das Ganze noch nicht so rasend schnell ab. Freundschaften haben noch einen Wert. Auch der Zusammenhalt untereinander.
Du wirst also nicht mehr zurückkehren?
Schwierig. Ich vergesse nicht, wie gut ich hier aufgenommen wurde. Ich bin eigentlich hiergeblieben aus Überzeugung. Weil es mir eben so gut gefallen hat. Darum wollte ich auch unbedingt diesen Menschen etwas zurückschenken und bin deshalb zur Feuerwehr gegangen. Letztes Jahr habe ich die Feuerwehr-Matura geschafft. Mit diesen Werten bin ich erzogen worden, dass man nämlich etwas zurückgibt, wenn man es kann. Ich bin jetzt nicht reich, aber ich habe Zeit, und diese Zeit kann ich schenken.
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