Ein Tonmitschnitt mit Aussagen des kürzlich verstorbenen Christian Pilnacek bringt Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in Erklärungsnot. Der ÖVP-Mann begibt sich nun auf bekanntes Terrain. Der chronisch Verdächtigte muss sich dabei um sein Amt keine Sorgen machen - wie ein König, der durch politische Instrumente nicht entthront werden kann.
Wolfgang Sobotka will trotz gravierender Vorwürfe gegen seine Person als Nationalratspräsident weitermachen. Das zweithöchste politische Amt der Republik führe er mit „bestem Wissen und Gewissen“ fort - wie in der Vergangenheit auch. Ganz im Sinne der Demokratie, meint der ÖVP-Mann am Donnerstagmorgen selbstbewusst im Nationalrat.
Die neue Liebe zur Wahrheitspflicht
Ex-Justiz-Sektionsleiter Pilnacek warf ihm einige Monate vor seinem Ableben in geselliger Runde Anstiftung zum Amtsmissbrauch vor. Das Gespräch wurde mitgeschnitten und der „Krone“ zugespielt. Die Vorwürfe entsprechen laut Sobotka „in keinster Weise der Wahrheit“.
Zu keinem Zeitpunkt hätte er in der Vergangenheit Druck auf die Justiz ausgeübt. Sobotka bleibt in seiner Argumentation der Parteilinie treu. Er beruft sich auf selektive Aussagen von sich und Pilnacek in U-Ausschüssen. Diese seien immerhin unter Wahrheitspflicht getätigt worden.
Jene U-Ausschüsse, die er seit 2020 selbst leitete, obwohl auch gegen die ÖVP und seine Person ermittelt wurde. Jene Wahrheitspflicht, die er als Vorsitzender abschaffen wollte. Die Sorge, „etwas Falsches“ zu sagen, sei bei Beschuldigten groß. Jetzt beruft er sich auf sie.
Strittige Fragen hätte er als Leiter regelmäßig zugunsten seiner Partei entschieden, erinnern sich Teilnehmer. Mit Zweifel sah sich Sobotka auch konfrontiert, als er selbst (mehrmals) als Zeuge aussagen musste. Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl äußerte damals Bedenken - vor allem, weil Sobotka als Vorsitzender im U-Ausschuss-Bericht seine eigenen Aussagen bewertet habe.
Sobotka - der König des Nationalrats
Der ehemalige Musiklehrer sieht in seinen Wortmeldungen und Tätigkeiten damals wie heute offenbar keinen Widerspruch. Einer der mächtigsten Männer der Republik darf sich seines Amtes sicher sein, obwohl die Opposition und Teile der Grünen lautstark nach Konsequenzen schreien. Selbst einer seiner Stellvertreter fordert am Donnerstag seinen Rücktritt - buchstäblich und ziemlich plakativ.
Dem achtfachen Vater wird es egal sein. Ein Nationalratspräsident ist in Österreich quasi der König einer Legislaturperiode. Er wird von den Abgeordneten des Hohen Hauses gewählt - aus „ihrer Mitte“, wie es so schön heißt. Die Wahl fiel Ende 2017 mit einem schwachen Ergebnis von 61,3 Prozent auf Sobotka.
Einmal Platz genommen, war ihm sein Amt mehr oder weniger sicher. Ein Nationalratspräsident kann weder einem Misstrauensantrag zum Opfer fallen, noch vom Bundespräsidenten des Amtes enthoben werden.
Gibt keine parlamentarischen Mittel
„Er kann durch parlamentarische Mittel nicht abgesetzt werden. Die österreichische Bundesverfassung ermöglicht das nicht“, erklärt Verfassungsrechtler Peter Bußjäger auf Nachfrage von krone.at. Das Parlament sei so konzipiert, dass es „die Regierung stürzen kann, aber nicht seine eigene Leitung“.
Das ist eher eine Sache der politischen Kultur als des Rechts.
Peter Bußjäger
Bild: Universität Innsbruck
Den Präsidenten mit einer Zweidrittelmehrheit abzubestellen - wie es auf Landesebene in Tirol möglich ist - funktioniere nicht. Bußjäger zufolge müsste Sobotka gerichtlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, um sein Mandat und damit seinen Posten zu verlieren. „Den eigenen Präsidenten hatte das Parlament nie scharf im Blick. Ich würde sagen, man hat dieses Problem eher übergangen.“ Das sei auch im internationalen Vergleich nicht ungewöhnlich.
Einem Abgeordneten kann sein Mandat aberkannt werden. Ein Auszug der Gründe:
Anmerkung: Sobotka konnte bisher in keinem Fall eine Verfehlung nachgewiesen werden.
„Dass das Parlament seinen Präsidenten überhaupt nicht abberufen kann, auch nicht mit einer sehr hohen Mehrheit, kann in Einzelfällen als problematisch betrachtet werden“, sagt der Rechtsexperte.
Es drängt sich die Frage auf: Wer kontrolliert den Chef der Kontrolleure? „Das ist eher eine Sache der politischen Kultur als des Rechts.“ Letztendlich sei eine „große Eigenverantwortung“ an den Nationalratspräsidenten übertragen worden. Zusammengefasst: Sobotka kann sich eigentlich nur selbst absägen.
Eine bemerkenswerte Vita
Das Amt des Nationalratspräsidenten gilt als identitätsstiftend und repräsentativ für die Republik. Über Sobotka steht formell nur der Bundespräsident. Gleichzeitig ist die Vita des 67-Jährigen voller Besonderheiten, die wenig staatsmännisch wirken. Bürgermeister, Landesrat und Innenminister lauteten die vorherigen Stationen. Da kommt einiges zusammen.
In seiner Zeit als niederösterreichischer Finanzlandesrat wurde jede Menge Steuergeld verzockt. Die spekulative Veranlagung der Wohnbau-Gelder zwischen 2002 und 2008 sorgte für einen Verlust von knapp einer Milliarde Euro, stellte damals der Rechnungshof fest. Sobotka blieb stets dabei, nichts falsch gemacht zu haben.
Rotwein mit Marsalek
Das Eingestehen von Fehlern entspricht offenbar nicht seinem Stil. An ein Treffen mit dem Wirecard-Betrüger Jan Marsalek vor sechs Jahren in Moskau kann er sich „beim besten Willen“ nicht erinnern - trotz Wahrheitspflicht im U-Ausschuss. Die Zusammenkunft wurde bildlich festgehalten.
Im Oktober 2020 wurde bekannt, dass das von Sobotka gegründete Alois-Mock-Institut von Novomatic mit 109.000 Euro unterstützt wurde. Angesprochen auf Werbung des Glücksspielkonzerns in einer Zeitschrift des Instituts, meinte er in einer TV-Show: „Sie kennen das Geschäft. Fürs Inserat gibt's ein Gegengeschäft, natürlich. Das wird man wohl machen dürfen, wenn man einen Thinktank hat.“
Durch Aussagen des ehemaligen Kurz-Vertrauten Thomas Schmid wird Sobotka ebenfalls schwer belastet. Schmid, der im Verfahren gegen den Altkanzler einen Kronzeugenstatus anstrebt, will auf Wunsch des Nationalratspräsidenten Steuerprüfungen bei der Erwin-Pröll-Stiftung und dem Alois-Mock-Institut gestoppt haben. Sobotka dementierte sämtliche Vorwürfe und kündigte rechtliche Schritte gegen Schmid an. Mittlerweile wurden beide Einrichtungen aufgelöst.
Laufende Ermittlungen gegen Sobotka
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt seit März 2022 gegen Sobotka wegen Amtsmissbrauch. Inkriminierende Chats legen nahe, dass er in seiner Zeit als Innenminister sehr darauf bedacht gewesen sein soll, in der Wiener Polizei ausschließlich Personen mit dem richtigen Parteibuch zu fördern. Am Server des Kabinetts sei zudem eine Liste aufgelegen, die „Interventionen“ hieß. Sobotka zufolge ein Missverständnis, dabei sei es um „Bürgerfragen“ gegangen. Auch diese Aussage erfolgte unter Wahrheitspflicht.
Keinem anderen Politiker in Österreich wird laut Vertrauensindex so misstraut wie dem Chef des Parlaments:
Und nun werden Aussagen Pilnaceks publik, der auf dem Höhepunkt seiner juristischen Karriere als Schatten-Justizminister bezeichnet wurde, die Sobotka Anstiftung zum Amtsmissbrauch vorwerfen. Die Staatsanwaltschaft prüft einen Anfangsverdacht. Doch bis und falls es zu einer gerichtlichen Verurteilung kommt, gilt für den chronisch Verdächtigten ein bewährtes Motto: weiter zur Tagesordnung!
Fest steht, Sobotka bleibt auf Sicht der König des Nationalrats. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat auch keine Zweifel an seiner Person und stärkt ihm den Rücken: „Sobotka hat mein Vertrauen!“ Eine sehr berühmte Phrase fasst den Fall in seiner Gesamtheit wohl am besten zusammen: Klingt komisch, ist aber so.
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