Die designierte Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler möchte „unbequem“ sein. Als „soziales Gewissen“ Österreichs sei es die Kernaufgabe der Caritas „Not zu sehen und zu handeln“, und das werde die erste Frau an der Spitze der Hilfsorganisation weiterführen. An die Politik richtete sie am Freitag einen Appell für nachhaltige Armutsbekämpfung.
In einer Zeit der „wachsenden Unsicherheit und Resignation“ rechnete die 40-Jährige mit keinen leichten Jahren für die Caritas. Zentraler Punkt bleibt die Bekämpfung von Armut in Österreich. „Auch wenn niemand in Österreich verhungern oder erfrieren muss, es gibt viel zu viele Menschen, die hungern und frieren“, und diese Zahl steige weiter, trotz der Maßnahmen der Regierung.
Die Teuerungswelle sei für viele Menschen gut abgefedert worden, das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, „dass unser Sozialsystem Lücken hat.“ Konkret forderte sie eine Reform der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes. Dringend brauche es auch mehr Kinderbetreuungsplätze.
Mahnende Worte an Regierung
Dass die Caritas mit ihr an der Spitze einen „weiblicheren Weg“ gehe, betonten sowohl Tödtling-Musenbichler als auch Michael Landau. „Die Caritas ist von vielen starken Frauen geprägt, in den Betreuungseinrichtungen, aber auch in der Führungsetage“, sagte Tödtling-Musenbichler. Sie machte aber auch darauf aufmerksam, dass Sorgearbeit nach wie vor weiblich geprägt und für Frauen Nachteile wie eine geringere Pension bringt. „Ja, wir können Solidarität, aber das hängt auch davon ab, wie die Politik die Weichen stellt“, nahm die neue Caritas-Chefin die politischen Entscheidungsträger in die Pflicht.
Auch ihr künftiger Vize, der Wiener Caritas-Direktor Alexander Bodmann, betonte die Solidarität. „In einer globalisierten Welt können wir unsere Verantwortung nicht abschieben“, sagte er. „Es ist unsere Aufgabe professionell und schnell zu helfen, und zwar allen Menschen.“ Angesichts des neu aufgeflammten Nahost-Konflikts dürfe man nicht auf andere Krisenregionen wie die Ukraine, Armenien oder Syrien vergessen. Auch warnte Bodmann vor den Gefahren des Antisemitismus und des antimuslimischen Rassismus, die beide erstarkt seien.
„Aussagen von Thunberg sind zurückzuweisen“
Nicht vergessen werden dürfe auch der Klimawandel. „Klimakleber nerven zurzeit zwar viele und die jüngsten Aussagen von Greta Thunberg sind klar zurückzuweisen. Das darf aber nicht davon ablenken, dass Industrienationen wie Österreich ihre Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel nicht ernst nehmen“, sagte Bodmann. Unter dem Klimawandel leiden jene besonders, die am wenigsten dazu beitragen.
Der scheidende Präsident Michael Landau betonte in seiner letzten Pressekonferenz in dieser Funktion das in den vergangenen Jahre Gelungene - etwa Verbesserungen in der Pflege, Hospiz- und Palliativversorgung oder eine Gesellschaft, die allgemein für Menschen mit Behinderung inklusiver geworden sei.
„Das Evangelium ist kein Parteiprogramm“
Der Auftrag der Caritas bestehe darin, „Not zu sehen und zu handeln“ und dieser sei unter jeder Bundesregierung der gleiche. „Für unseren Umgang mit der Politik heißt das: So viel Zusammenarbeit wie möglich und so viel Kritik wie nötig“. Landau betonte: „Das Evangelium ist kein Parteiprogramm.“
Für die aktuelle türkis-grüne Koalition gab es von Landau dann noch Abschiedslob: Sie habe vieles richtig gemacht, ohne die Milliardenhilfen wären viele Menschen noch viel stärker von Armut betroffen. Zugleich dürfe die Regierung Armut aber nicht leugnen.
„Guter Grundwasserspiegel an Nächstenliebe“
Die Gleichzeitigkeit mehrerer Krisen sei für viele besorgniserregend. „Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind enorm. Es gibt in diesem Land aber auch einen guten Grundwasserspiegel an Nächstenliebe.“ Landau selbst will in Zukunft weiterhin „für Hoffnung und Zuversicht und gegen Angst“ werben, und zwar in seiner Funktion als Präsident der Caritas Europa.
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