Phase eins für das Comeback der SPÖ betrachtet Andreas Babler als fast abgeschlossen. Nachdem er der Sozialdemokratie wieder mehr Feuer und Leidenschaft eingehaucht hat, will Babler Phase zwei einleiten und vor allem an Inhalten arbeiten.
Hier zieht er einen alten Hut hervor und gründet einen Expertenrat, der inhaltlich seine Reformkanzlerschaft vorbereiten soll. „Die SPÖ stellt sich damit noch breiter auf und öffnet die Partei auch für Nicht-Mitglieder.“
Vorbild ist einmal mehr Bruno Kreisky, der das Reformprogramm „Für ein modernes Österreich“ initiierte, in dessen Rahmen er 1400 Experten aus allen Teilen der Gesellschaft einlud, um neue Konzepte für Sozial-, Bildungs-, Wirtschafts- und Rechtspolitik zu entwerfen. Geleitet wird die Expertenkommission vom Energiemanager Marc Hall.
Im Interview skizzieren Babler und Hall vor allem, wie eine moderne Industrie aussehen soll.
„Krone“: Herr Babler, Kommissionen haben die Österreicher schon einige kennengelernt, nicht alle - Stichwort: Corona-Kommission - sind in bester Erinnerung. Warum soll der neue SPÖ-Expertenrat begeistern?
Andreas Babler: Die ersten fünf, sechs Monate waren sehr stark nach innen gerichtet, um die Partei zu konsolidieren. Jetzt geht es einen Schritt weiter. Mir geht es darum, dem Wort Reform eine positive Wende zu geben. Reform hat in Österreich in den vergangenen 20 Jahren immer Kürzungen, Einsparungen und Verschlechterungen bedeutet.
Die größten Pensionskürzungen, die wir je erlebt haben, waren 2003 unter Schwarz-Blau I - die waren gewaltig. Jede Reform im Gesundheitsbereich hat weniger Spitalsbetten und weniger Kassenärzte gebracht. Im Bildungsbereich haben alle unsere Pisa-Ergebnisse, sage ich jetzt einmal pauschal, in den letzten Jahren zu wünschen übrig gelassen.
Die positive Wende hat aber auch viel mit Industriepolitik, Standortpolitik, Klimatransformation zu tun. Die Klimatransformation wird eine Säule für die Standortsicherung sein müssen. Der Expertenrat soll ganz breit denken. Die Konzepte sollen dann als Grundlage für die Vorbereitung der Reformkanzlerschaft dienen.
Herr Hall, Sie leiten gemeinsam mit Evelyn Regner den Expertenrat. Auffallend oft fällt das Wort Industrie und Standortsicherung. Ist die von Babler angestrebte 32-Stunden-Woche für den Standort nicht kontraproduktiv?
Marc Hall: Das ist ein längerfristiges Projekt. Das Thema wieder aufzumachen, damit wir die Arbeitswelt wieder anders definieren, war sehr gut. Ich denke, die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich könnten wir in verschiedenen Bereichen durchsetzen, indem wir die Produktivität optimieren.
Als Schlüssel für einen starken Standort wollen Sie zusätzliche Klimaschutzinvestitionen im Ausmaß von rund einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) pro Jahr auslösen. Die aktuelle Regierung hat einen Transformationsfonds gegründet, in dem 4,5 Milliarden Euro abrufbar sind. Wo liegt der Unterschied? Auf den ersten Blick kann man keinen erkennen.
Hall: Wir haben immer energiesparende und emissionssenkende Maßnahmen getätigt und wir haben in neue Produktionsanlagen investiert. Aber um eine richtige Transformation hinzubringen, braucht es mehr. Alles, was jetzt da ist, ist ein Grundrauschen. Daher braucht es zusätzlich pro Jahr ein Prozent des BIP - also rund vier Milliarden. Es ist nicht so, dass man dafür staatliches Geld braucht, sondern die Unternehmen haben fertige Projekte in der Schublade. Das Problem ist, dass diese Investitionen nicht zustande kommen, weil die meisten Unternehmen keine klare Einschätzung haben, wie sich beispielsweise der Strompreis entwickeln, wie die Transformation durchgeführt wird.
Das heißt, Sie wollen die Merit-Order abschaffen. Das hat die EU bis jetzt noch nicht gewagt …
Hall: Ich war dabei, als die Merit-Order ins Leben gerufen wurde. Damals dominierten die Kernkraft- und Kohlekraftbetreiber in Europa, die gesagt haben, wir brauchen einen Kapazitätsschutz. Die Schweiz hat die Merit-Order nicht. Mit dem Anteil an erneuerbarer Wasserkraft, den wir haben, bräuchte Österreich die Merit-Order nicht. Wir könnten daher einen Preisbildungsmechanismus in Österreich einführen, der sich stärker daran orientiert, was tatsächlich die Produktionskosten sind.
Reformen, die keine Einsparungen sein sollen, benötigen Geld. Wir haben ein enorm hohes Budgetdefizit. Wie wollen Sie das finanzieren?
Babler: Die Corona-Ausrede ist fürs Erste einmal vorbei. Wir haben 20 Milliarden Euro Defizit. Wenn das eine SPÖ-Regierung gemacht hätte ... Und wir wissen: Kommt eine schwarz-blaue Regierung, werden diese Schulden die Pensionisten und die Arbeitnehmer zurückzahlen. Wir werden Vorschläge machen, wie man Budgetpolitik neu denken kann. Dazu gehören Vermögens- und Erbschaftssteuern, die rund sechs Milliarden bringen könnten. Zum Vergleich: ÖVP und FPÖ haben den großen Konzernen die Körperschaftssteuer gesenkt. Das kostet uns alle jährlich sieben Milliarden. Im Budget herrscht ein Ungleichgewicht: Die Arbeitnehmer zahlen zu viel und die Konzerne zahlen zu wenig.
Herr Hall, in der Politik herrscht ein raueres Klima als in der Wirtschaft. Warum tun Sie sich das an?
Für mich persönlich ist die Standort- und Klima- und Energiefrage wichtig. Solche Reformpläne habe ich für Standorte außerhalb von Österreich schon öfters gemacht. Jetzt bietet sich die Gelegenheit an, für Österreich ein Konzept zu entwickeln. Mir gefällt das sehr gut. Ähnliche Sachen habe ich weltweit gemacht.
Sie beide haben sehr viel über Industrie und Standortsicherheit geredet. Wollen Sie damit eine Alternative für frustrierte ÖVP-Wähler werden?
Babler: Was uns antreibt, ist eine Reformalternative für Österreich zu erarbeiten. Wir wollen zeigen, dass die ÖVP in den letzten Jahren vielleicht nicht das beste Beispiel für diese Bereiche gegeben hat. Im Unterschied zu anderen habe ich selbst zehn Jahre lang erfolgreiche Wirtschaftspolitik in meiner Stadt Traiskirchen gemacht.
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