Am ersten Jänner 2024 leitet der deutsche Stardirigent Christian Thielemann nach 2019 zum zweiten Mal das weltberühmte Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. In einem seiner raren Interviews berichtet er über das Besondere im heurigen Programm und erzählt, was das Neujahrskonzert, aber auch seine Beziehung zu Wien einzigartig macht.
„Krone“: Was beim Neujahrskonzert im Fernsehen ungeheuer leicht und unbeschwert aussieht, erfordert doch gewaltig viel Arbeit. Man muss viele Werke studieren. Wie viel Zeit erfordert das, wann beginnt man mit der Vorbereitung?
Christian Thielemann: Angefangen habe ich schon im Sommer. Es sind eine Menge neue Stücke. Auch die älteren, die man kennt, muss man sich angucken, weil die nicht so oft gespielt werden. Es ist eine komplizierte Sache, aber sie macht unglaublich viel Spaß. Es ist schon mein zweites Mal, da weiß ich in etwa, was auf mich zukommt. Das heißt aber nicht, dass es leichter wird.
Worauf kommt es an? Es kommt darauf an, diese Musik leicht zu machen. Obwohl das sehr schwer ist. Es soll leicht und vergnügt wirken, manchmal etwas melancholisch. Wie wir musizieren, soll dem Stück angemessen sein, nicht zu exaltiert. Es soll aber eben auch nicht Nix sein. Es ist so ein bisschen ein Dazwischen.
Mit Noten gegen Unfälle
Eine hoch faszinierende Angelegenheit, etwa mit den verschiedenen Arten von Polkas. Es ist doch keine gleich. Eine ist schneller, eine langsamer, eine etwas statischer, dann wieder eine etwas bewegter und die Polka française wieder etwas ganz anderes. Was da vom Orchester und von mir stilistisch abverlangt wird, das ist allerhand.
Dirigieren sie auswendig? Nein, darum hat man mich schon beim ersten Konzert gebeten. Denn in dieser Hitze auf der Bühne und auch in der Verwirrung dahinter, so wurde mir berichtet, hat es schon fast große Unfälle gegeben. Weil man auf einmal doch nicht mehr weiß, wie es weitergeht. Das ist keine Symphonie, oder ein langes Stück, das einen inneren Fluss hat. Sondern es folgt Stück um Stück um Stück. Das ist immer besonders schwierig, die gedanklich aneinander zu pappen.
Viele Kollegen haben es mit Noten dirigiert. Ich werde sie mir auf jeden Fall hinlegen. Denn ich weiß aus der Erfahrung, wie ungeheure warm es auf der Bühne wird. Wenn man dann gegebenenfalls einen Konzentrationsmangel hätte, wäre es doch schade, wenn etwas passiert.
Mit welchem Gefühl tritt man in den Großen Musikvereinsaal, wenn einem Millionen von Menschen auf der ganzen Welt via TV zusehen und jeden Fehler bemerken können? Ich bin ja schon fernsehgeübt, habe schon x-mal fürs ZDF und aus Dresden zu Silvester Liveübertragungen gemacht. Ich sehe nicht, wie viel Leute an den Schirmen sitzen, und die Kameras schauen heutzutage ganz zurückhaltend aus. Da muss man sich jetzt nicht auch noch zusätzlich verrückt machen.
Im Vergleich zu ihren Silvesterkonzerten mit der Dresdner Staatskapelle: Was macht das Neujahrskonzert mit den Wiener Philharmonikern so anders, so besonders? Die Wiener Philharmoniker sind die einzigen im ganzen Universum, die diese Musik so spielen, wie sie spielen, weswegen sie auch weltberühmt dafür sind.
Wienerisch mit internationalen Dirigenten
Da kommen so viele Einflüsse zusammen, rhythmische und klangliche Besonderheiten, ein ganz tiefes Verständnis für die Musik. Das hat man wohl nur, wenn man lange in Wien oder, wie die meisten, hier aufgewachsen ist. Interessant ist, dass sich das Orchester dann Dirigenten holt, die von überall herkommen, um noch andere Inspirationen und Sichtweisen kennenzulernen.
Wie studieren Sie die vielen neuen Stücke? Informiert man sich vorher, studiert die Hintergründe, die Geschichten dahinter? Bei Stücken, von denen es keine Aufnahme gibt, habe ich natürlich keine Referenz. Manchmal gibt es eine oder zwei, die gefallen mir so wenig, dass ich mir denke, das kann ich auf gar keinen Fall so dirigieren. Dann setz ich mich ans Klavier und spiele mir das vor.
Locker und familiär
Das Orchestermaterial ist gut vorbereitet, aber es gibt Stücke, die muss man zusammen „erfinden“, weil sie gar keine Interpretationshistorie haben. Mitunter ist es so, dass man sich ein Tempo überlegt hat - und dann klingt es mit dem Orchester nicht. Aber dann sitzen tolle Leute da, die sich auch in dieser Musik gut auskennen. Es ist eigentlich so, wie wenn man eine neue Oper einstudiert, die keiner kennt, wo man fragen muss, wie gestalten wir den großen Bogen.
Das macht unglaublichen Spaß, braucht etwa Zeit und Fantasie, gute Laune und entspanntes Musizieren. Dabei geht es sehr freundschaftlich, sehr locker, manchmal geradezu familiär zu. Wobei familiär nicht heißt, dass es schlampig wird.
Ihre Lieblingsstücke im aktuellen Programm? Ich finde es sehr lustig, dass wir etwas von Bruckner spielen, das auch gar nicht groß nach Bruckner klingt. Dann haben wir den „Ischler Walzer“, der aus zwei nachgelassenen Johann Strauss Sohn-Walzern zusammengesetzt ist. Sehr schön sind die „Wiener Bürger“, ein wunderbarer Walzer, ganz toll die „Waldmeister-Ouvertüre“, die schon öfter gespielt wurde, etwas ganz Feines. Die Polka française „die Hochquelle“, ist auch noch nie im Neujahrskonzert zu hören gewesen. Es sind Dinge, die wir gemeinsam entwickeln.
Bruckner am Wirtshausklavier
Ich freu mich daher ungeheuer auf die Proben, die sind das aller spannendste bei der ganzen Geschichte. Deshalb komme ich schon am 26. abends an, und am 27. beginnen dann die Proben.
Sie haben gerade sämtliche Symphonien von Bruckner mit den Philharmonikern auf CD eingespielt. 2024 ist Bruckner-Jahr aus Anlass des 200. Geburtstag. Jetzt wird eine Quadrille von ihm gespielt. Wie kann man sich den tanzenden Anton Bruckner vorstellen? Ja, den können Sie sich eben gar nicht vorstellen! Das war wahrscheinlich der kleine Anton, der an einem leicht verstimmten Wirtshausklavier irgendetwas leicht Tänzerisches dahingespielt und es aufgeschrieben hat - wahrscheinlich gar nicht mit dem Anspruch, dass das jemals veröffentlicht wird.
Aber wir haben diese Klavierstücke gefunden, und für Orchester setzen lassen. Da werden Sie von dem, was sie von Bruckner kennen, überhaupt nichts finden. Das ist etwas ganz anderes. Aber da kommt er her.
Sie müssen das Publikum beim Klatschen dirigieren und animieren, ein gutes neues Jahr wünschen. Wie viel Entertainer steckt in Ihnen? Ich bin ja von Natur aus mit einer Berliner Schnauze gesegnet! Das hat mir nie Mühe gemacht. Das macht total Spaß.
Was sind die besonderen Herausforderungen bei einem solchen TV-Ereignis? Sehr anspruchsvoll finde ich, dass es kleine Stücke sind, die ganz schnell stilistisch wechseln. Aber auch das Drumherum ist allerhand. Nach zwei Nummern müssen sie wieder hinaus, dann wird an ihnen herumgetupft, wenn sie zu viel geschwitzt haben, und geschaut, ob sie noch gut aussehen. Dann müssen sie warten, bis sie rausgehen können, müssen auf das Licht auf der Bühne warten, erst dann dürfen sie anfangen.
Wien, Berlin, Bayreuth, Salzburg
Dabei soll man so tun, als ob es das Leichteste und das Schönste auf der Welt ist. Das sind Dinge, die sie am Fernsehschirm gottlob gar nicht mitbekommen, weil das alles so schön verborgen und toll organisiert ist. Die Arbeit, die dahintersteckt, sollen Sie natürlich nicht spüren.
2024 wird auch für Sie ein wichtiges Jahr: Sie treten in Berlin als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden an. Auch wurde jüngst bekannt, dass es wieder Auftritte bei den Festspielen in Bayreuth geben wird. Wieviel Zeit bleibt noch für Wien?Meine Verpflichtungen in Wien werden in keiner Weise geschmälert. Ganz im Gegenteil! Wir haben jetzt ganz weitreichende Pläne in der Oper gemacht. Mit den Wiener Philharmoniker sowieso. Ich wohne in Berlin. Bekanntlich fliegt man, wenn alles klappt, eine Stunde von Berlin nach Wien.
Die Freundschaft mit den Wiener Philharmonikern ist etwas so Besonderes, dass ich das nicht missen möchte. Und meine Verbundenheit mit der Oper ist nun auch wirklich ein Herzensanliegen.
Gewichtiges an der Staatsoper
Wenn sich diese schönen Projekte, die wir für die nächsten Jahre verabredet haben, fortsetzen, ist das ganz wunderbar. Dann mache ich eben Oper in Berlin, mache sie in Wien, dazu kommt noch Bayreuth. Woanders gibt es dann eben keine Oper. Salzburg spielt auch immer eine Rolle. Dort dirigiere ich nächstes Jahr ,Capriccio‘ von Richard Strauss konzertant, dann geht es weiter mit Konzerten.
Konkrete Stücke dürfen Sie wohl noch nicht verraten, aber in welche Richtung geht es? Es sind gewichtige Werke, die an der Oper kommen. Wir haben mit den Wiener Philharmonikern mit einem Brahms-Zyklus angefangen. Es gibt dann auch wieder Mal ein Beethoven-Jahr, zu dem wir etwas in Salzburg beitragen. Es gibt Tourneen, mit den Philharmonikern, aber auch mit meiner Berliner Staatskapelle. Dann ist der Kalender voll. Man wird letzten Endes ökonomischer. Das ist auch ein Vorteil.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.