Wie ein Mahnmal ragt das "Piratenschiff" des Abenteuerspielplatzes am Strand von Amrum aus den Dünen. Noch immer bringen Eltern und Kinder Blumen, Kerzen und Briefe zur Unglücksstelle. Hier fand die Polizei am vergangenen Mittwoch die Leiche des vermissten zehnjährigen Sebastian aus Baden. Er hatte eine Höhle im Sand gegraben, wurde verschüttet und erstickte. "Viel Glück an alle Verwandten und Freunde von Sebastian", steht auf einer Karte, die von Muscheln aufrecht gehalten wird.
"Die Anteilnahme der Bevölkerung ist enorm", sagt Generalkonsul Christian Siegl, den das Außenministerium von der österreichischen Botschaft in Berlin auf die Nordseeinsel entsandt hat. Als Einziger hatte der Diplomat dort Kontakt mit Sebastians Familie. Als wir telefonieren, sitzt der Konsul bereits wieder in seinem Büro in der österreichischen Botschaft in Berlin. "Die Tage in Amrum waren die schwierigsten in meiner bisherigen Laufbahn", sagt er leise. "Dass ein Kind durch ein so tragisches Unglück ums Leben kommt, ist nur schwer zu begreifen."
"Krone": Wenn Sie heute an Amrum zurückdenken, welches Bild taucht da auf, Herr Generalkonsul?
Generalkonsul Christian Siegl: Eine idyllische Ferieninsel mit bunten Strandkörben in weißen Dünen. Sonne, blauer Himmel. Und gleichzeitig der Schock in den Gesichtern der Menschen, als Sebastian tot aufgefunden wurde. Ich hatte so gehofft, dass sie das Kind unversehrt finden.
"Krone": Was nahmen Sie an?
Siegl: Dass es sich vielleicht verlaufen hat. Es haben ja Hunderte Menschen nach dem Kind gesucht. Ich war zutiefst beeindruckt, was die Polizei alles in Bewegung gesetzt hat: Hundestaffel, Feuerwehr, Polizeitruppen, Taucher, die im Schlick und an der Wasserlinie gesucht haben. Sogar einen Hubschrauber mit Wärmebildkamera. Als ich am Dienstagabend nach Kiel fuhr, hatten sie noch keinerlei Hinweise. Es wurde in alle Richtungen ermittelt: Entführung, Verbrechen, Unfall.
"Krone": Mit welchem Auftrag sind Sie nach Amrum gereist?
Siegl: Ich habe gemeinsam mit unserem Honorarkonsul in Kiel, Dr. Süverkrüp, die Betreuung der Familie übernommen. Als ich am Mittwoch kurz nach 15 Uhr auf die Insel kam, hatten die Eltern gerade den Anruf bekommen, dass ihr Kind tot aufgefunden wurde.
"Krone": Was sagt man in so einem Moment?
Siegl: Das habe ich mich auch gefragt: Was sage ich jetzt? Es ist eine ungemein schwierige Situation. Letztendlich, natürlich nach den Beileidsbekundungen, habe ich einfach gefragt: Gibt es etwas, was ich für Sie tun kann? Fragen, die ins Persönliche gehen, habe ich bewusst nicht gestellt.
"Krone": Wie geht es Sebastians Eltern?
Siegl: Ich hatte den Eindruck, dass das eine Familie ist, die sehr eng zusammengerückt ist. Eine Familie, die schwankte zwischen Schockzustand und Disziplin. Wohl auch, um der älteren Tochter Kraft zu vermitteln. Bewundernswert. Psychologische Hilfe wurde angeboten, die Familie wollte sie aber nicht in Anspruch nehmen.
"Krone": Ist die Familie auf Ihr Angebot eingegangen?
Siegl: Die Eltern haben nur einen Satz gesagt: Wir möchten gerne zurück nach Hause. Ihr Urlaub war ja für drei Wochen geplant. Am zweiten Tag ist das Unglück passiert. Wir haben dann die Flüge für sie umgebucht, sodass sie am Donnerstagabend nach Hause zurückfliegen konnten. Auch bei der Überstellung von Sebastians Leichnam haben wir Unterstützung angeboten.
"Krone": Wie haben Sie die Medien auf Amrum wahrgenommen?
Siegl: Das Interesse und der Andrang waren sehr groß. Einmal hat sich ein Kamerateam sogar vor das Haus gestellt.
"Krone": Man hat viel über die Tücken des Sandes gehört. Ist es wirklich so, dass man in einem Loch verschwinden kann, wenn man nicht aufpasst?
Siegl: Ja. Das hat mir die Kriminalpolizei bestätigt. Bei tiefen Löchern unterspült das Wasser die Grube und dann bricht plötzlich alles zusammen. Die Polizei hat das nicht wirklich erstaunt. Und auch die Leute, die das Wattenmeer kennen, wissen, dass es durchaus gefährlich sein kann.
"Krone": Aber kann ein Bub mit bloßen Händen ein so tiefes Loch graben?
Siegl: Man hat keine Schaufel gefunden... Und ein letztes Foto zeigt das Kind allein beim Graben.
"Krone": Dass sich neben dem Spielplatz der "Ausguck der deutschen Lebensrettungsgesellschaft" befindet, ist das nicht besonders tragisch?
Siegl: Ja. Falls dort jemand gewesen wäre, hätte man das Kind bestimmt darauf aufmerksam gemacht. Es war eine Verkettung ganz, ganz unglücklicher Umstände, dass niemand da war, der das wahrgenommen hat.
"Krone": Wie fühlen Sie sich nach dieser Woche?
Siegl: Ich bin sehr angespannt. Auf der einen Seite bin ich ein Beamter, der seine Arbeit verrichtet hat, aber ich bin auch ein Mensch und Familienvater und musste an meine Tochter denken. Sie hat auch so gern im Sand gespielt und mich immer eingegraben. Diese Bilder hatte ich vor Augen.
"Krone": Was wünschen Sie der Familie jetzt, Herr Generalkonsul?
Siegl: Die Kraft, mit diesem schweren Schicksalsschlag umzugehen. Und auch, dass sie sich nicht zu viele Selbstvorwürfe machen. Dass solche Gefühle nicht zu stark von ihnen Besitz ergreifen.
Seine Arbeit
Geboren am 17. Jänner 1961. Nach Stationen in Budapest, Addis Abeba (Äthiopien) und in Pristina (Kosovo) ist Christian Siegl seit 2010 Generalkonsul bei der österreichischen Botschaft in Berlin. Der gebürtige Steirer ist verheiratet und hat eine inzwischen erwachsene Tochter (25).
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