Autor klärt auf:
Wie die Mafia Deutschland für sich gewinnt
In Deutschland verfeinert die kalabrische ‘Ndrangheta ihre Taktiken, um einflussreiche Netzwerke ohne typische Gewaltmethoden aufzubauen. Autor Sandro Mattioli beleuchtet in seinem Buch „Germafia. Wie die Mafia Deutschland übernimmt. Ein Erfahrungsbericht“ (Westend, 24,70 €), wie diese Organisation durch scheinbar harmlose Geschäftsbeziehungen Fuß fasst – auch in Österreich.
Welche Methoden und Strategien verwendet die Mafia jetzt in Deutschland, um dort Fuß zu fassen?
Mattioli: Was auf alle Fälle deutlich wird, ist, dass es der ’Ndrangheta, also der Mafia aus Kalabrien, darum geht, Kontakte und Beziehungen aufzubauen. Wir denken bei Mafia ja häufig an Gewalt und Einschüchterung und sowas. Tatsächlich ist es so, dass man in Deutschland sehr oft darum bemüht ist, für beide Seiten eine Win-win-Situation zu schaffen, also im unternehmerischen Sinne. Mafiosi arbeiten mit deutschen Unternehmern oder Bankiers oder anderen zusammen, und beide Seiten profitieren davon.
Was macht Deutschland so interessant für die Mafia?
Der Grund dafür ist, dass die ersten Mafiosi, die nach Deutschland kamen, bereits Anknüpfungspunkte hatten, bedingt durch die Arbeitsmigration aus ärmeren italienischen Gegenden. Deutschland ist auch ein vergleichsweise reiches Land, was früh hohe Gewinne, beispielsweise in der Gastronomie, ermöglichte. Außerdem fehlt in Deutschland die kollektive Angst vor der Mafia, wie sie in Italien durch Gewalterfahrungen besteht. Ein weiterer Vorteil ist die deutsche Gesetzgebung, die es schwierig macht, bloße Mitgliedschaft in der Mafia strafrechtlich zu verfolgen.
Und welche konkreten Beispiele für Mafiaaktivitäten in Deutschland können Sie nennen?
Wir müssen zwischen illegalen und legalen Aktivitäten unterscheiden. Im Bereich der illegalen Aktivitäten sind sie oft im Drogenhandel aktiv, organisieren den globalen Drogenhandel aus Deutschland heraus und betreiben auch Schutzgelderpressung in modernisierter Form, indem sie Gastwirten nahelegen, bestimmte Produkte zu kaufen. Es gab auch Versuche, im Müllgeschäft Fuß zu fassen. Im legalen Bereich sind Investitionen in Immobilien und der Handel mit Restaurantlizenzen oder Bankgeschäften zu nennen, die teilweise auch zur Geldwäsche dienen.
Ist die Bedrohung durch die Mafia in Deutschland gewachsen? Reagiert die Regierung angemessen?
Die italienische Mafia in Deutschland ist eng mit Italien verbunden. Es gab Versuche, sich in Norditalien unabhängig zu machen, die jedoch scheiterten. In Deutschland wird diese Gefahr meiner Meinung nach nicht angemessen adressiert. Seit 2017 werden durch die Initiative „Mafia Nein Danke“ Zahlen erhoben, und die offiziellen Zahlen haben sich mehr als verdoppelt, die inoffiziellen Zahlen sind vermutlich noch höher. In Nordrhein-Westfalen wird das Thema ernster genommen als anderswo. Es ist gefährlich, den Zuwachs zu ignorieren und keine Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Fakten zur kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta
- Die Mafia-Organisation hat ihre Wurzeln in der süditalienischen Region Kalabrien und ist auf allen fünf Kontinenten aktiv, wobei der Kokainhandel ihr wichtigster Erwerbszweig ist
- Die ‘Ndrangheta besteht aus rund 150 Clans und weltweit mindestens 20,000 Mitgliedern.
- Sie ist die mächtigste und reichste italienische Mafia, mit einem Jahresumsatz von über 50 Milliarden Euro, hauptsächlich aus dem Kokainhandel
- In Deutschland war die ‘Ndrangheta aktiv und beteiligte sich an einem internationalen Großeinsatz gegen die kalabrische Mafia, was zu zahlreichen Festnahmen führte
- Die ‘Ndrangheta wäscht ihre Drogengelder über Hotels und die Gastronomie und kontrolliert Lokale auch in Deutschland
- Die Mafia-Organisation übt Druck auf Unternehmen in Kalabrien aus, besteuert sie bis in den Konkurs hinein und ist in zweifelhafte Finanztransaktionen und Geldwäsche involviert
Haben Sie bei Ihrer Recherche auch schon Erkenntnisse über österreichische Mafiaaktivitäten gewinnen können?
In Österreich ist das Thema Online-Glücksspiel schon früh für verschiedene italienische Mafia-Clans von Bedeutung geworden. Außerdem geht es in meinem Buch um zwei Personen, die auch in Deutschland aktiv sind, speziell in Münster. Einer dieser Italiener hat in Linz eine Gaststätte eröffnet und von dort aus Kontakte zu österreichischen Unternehmern aufgebaut, wie beispielsweise einem Gemüsehändler.
Wie gestalten sich die Recherchen für ein so spannendes, aber auch gefährliches Thema? Mussten Sie sich einschleusen oder sind Sie Mafiosi persönlich begegnet?
Die Recherche ist weniger spektakulär, als viele sich vorstellen. Sie basiert hauptsächlich auf dem Studium von Dokumenten, wie italienischen Gerichtsakten, und dem Zugang zu Datenbanken, die Urteile enthalten. Die Berichterstattung in Italien ist viel detaillierter als in Deutschland. Meine Quellenarbeit umfasst den Aufbau von Kontakten zu Personen bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft, sowohl in Italien als auch in Deutschland. Durch Zufall kam ich 2012 in Kontakt mit Luigi Bonaventura, einem ehemaligen Boss eines ’Ndrangheta-Clans, der Kronzeuge wurde. Dieser Kontakt hat mir tiefe Einblicke in die Funktionsweise und sozialen Strukturen der Organisation ermöglicht. Ich halte mich von aktiven Mafiosi fern, aus Sicherheitsgründen. Ich möchte in meiner Arbeit deutlich machen, dass diese Organisationen nicht die romantisierten Gestalten aus Filmen sind, sondern brutale und gefährliche Strukturen darstellen.
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