Österreich hat am Freitag Abschied von der am 3. Juni verstorbenen Ex-Kanzlerin Brigitte Bierlein genommen. Die Trauerfeier für die erste Bundeskanzlerin und erste Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes begann im Stephansdom und endete auf dem Wiener Zentralfriedhof, wo Bierlein ein Ehrengrab erhält.
Der Sarg Bierleins wurde am Morgen, um 6.45 Uhr, liturgisch in den Dom gebracht und dort aufgebahrt. Die Bevölkerung konnte bis 10 Uhr Abschied nehmen. Hunderte Menschen nutzten die Gelegenheit und trugen sich in die aufgelegten Kondolenzbücher ein.
Das Spalier neben dem in eine österreichische Fahne gehüllten Sarg war paritätisch besetzt durch Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher und staatlicher Organisationen, die das Leben von Bierlein geprägt haben: das Gymnasium in der Kundmanngasse, das Juridicum der Universität Wien, der Verfassungsgerichtshof, das Bundeskanzleramt, die Bundestheater Holding und die Frauen Initiative LEA – Let‘s Empower Austria sowie das Bundesheer und die Polizei.
Das Requiem für die vor elf Tagen überraschend verstorbene Bierlein leitete Kardinal Christoph Schönborn. Die Fürbitten im Trauergottesdienst wurden von langjährigen Freundinnen und Freunden der Verstorbenen verlesen.
Schönborn würdigte die Verdienste Bierleins
In seiner Predigt würdigte Schönborn einmal mehr die Verdienste Bierleins um Österreich. Über sie zu sprechen heiße, „über Recht, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit zu sprechen“. Sie habe in herausragender Weise diese Worte verkörpert und vergegenwärtigt, so der Kardinal. Ihr Dienst für und an Österreich möge Vorbildcharakter für das politische Miteinander haben, so Schönborn, auch in Anspielung auf den anstehenden Wahlkampf.
Staatsspitze bei Trauerfeierlichkeiten
An den Trauerfeierlichkeiten nahm die gesamte Staatsspitze teil. Im Rahmen eines Requiems im Stephansdom wurde ihre Persönlichkeit umfassend gewürdigt. Interessiert, kompetent, mutig, gesellig, elegant und Dialog-orientiert waren nur einige der Eigenschaften, die ihr in den Reden von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Kanzler Karl Nehammer und Kardinal Christoph Schönborn zugeschrieben wurden.
Ihr Nachfolger, Christoph Grabenwarter, nannte sie sichtlich gerührt nicht nur eine Juristin, sondern auch eine Verbinderin im Fachlichen wie in den persönlichen Kontakten: „Brigitte Bierlein hatte Stil.“ Auch habe sie ein ausgeprägtes Gefühl für Ästhetik gehabt und das nicht nur im Äußeren – ein gutes Gespür für die richtigen Umgangsformen: „Sie war im besten Sinne des Wortes ein geselliger Mensch.“
Bundespräsident Van der Bellen erinnerte in seiner Rede daran, dass Bierlein in den schwierigen Zeiten nach Auftauchen des Ibiza-Videos seine Einladung angenommen habe, das Land als Kanzlerin zu einer Neuwahl zu führen. Sie habe diese Aufgabe als „mutige Frau“ angetreten und die Lage in Österreich rasch wieder beruhigt.
Van der Bellen: „Sie wird uns immer ein Vorbild bleiben“
Bierlein stehe für Hirn und Herz, Selbstvertrauen und Selbstkritik, Stärke und Gelassenheit sowie für Fachkenntnis und Empathie, so Van der Bellen. Er hoffe, dass Bierlein sich bewusst gewesen sei, wie sie andere inspiriert habe: „Sie wird für viele Frauen und Mädchen und uns alle immer ein Vorbild bleiben.“
Als erste Bundeskanzlerin unseres Landes hat Brigitte Bierlein vor allem Mut gezeigt und uns alle bestärkt, Chancen zu ergreifen. Sie hat Ja gesagt, wenn es darum ging, Verantwortung zu übernehmen und damit Geschichte geschrieben – einen Weg geebnet, der vielen nach ihr Hoffnung und Mut gibt.
Kanzler Karl Nehammer
„Dialog nicht nur gelebt, sondern auch gesucht“
Bundeskanzler Nehammer verneigte sich nicht nur rhetorisch vor Bierleins Lebenswerk. Ihr Amt als Regierungschefin habe sie mit Eleganz, Entschlossenheit und Mut, der seinesgleichen suche, ausgeübt. Sie sei „Weltbürgerin, aber auch echte Wienerin“ gewesen, habe ein Herz für die Gleichberechtigung und die Wahlfreiheit für Frauen gehabt. Bierlein sei jedem Menschen unvoreingenommen begegnet: „Sie hat den Dialog nicht nur gelebt, sondern auch gesucht.“
In den Reihen des Doms hatte die Bundesregierung ebenso Platz genommen wie z.B. Alt-Bundespräsident Heinz Fischer, die ehemaligen Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Christian Kern (SPÖ), Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Spitzenpolitiker aller Parteien sowie Prominenz aus der Justiz.
Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof
Nach Ende des feierlichen Requiems wurde der Sarg der Verstorbenen durch das Riesentor aus der Kirche auf den Stephansplatz getragen, wo eine Militärmusikkapelle die Bundeshymne spielte. Zahlreiche Schaulustige – darunter auch viele Touristen – verfolgten die feierliche Verabschiedung des Leichenwagens vor dem Stephansdom.
Mit Polizeieskorte wurde der Sarg anschließend zum Wiener Zentralfriedhof gebracht. Die dortige feierliche Beisetzung – ebenfalls in Anwesenheit der Staatsspitze – dauerte eine halbe Stunde. Die Zeremonie leitete ein Beistand der früheren Bundeskanzlerin, der Pfarrer von Ober St. Veit, Stefan Reuffurth. Ein zuvor befürchteter Andrang blieb aus.
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