Als die Regierung vor fünf Jahren zwischen Sebastian Kurz und Werner Kogler besiegelt wurde, dachten alle, dass Migration der größte Stolperstein sein würde auf dem türkis-grünen Weg. Stattdessen stritten ÖVP und Grüne am heftigsten über das Klima. Und scheiterten letztlich an dem Thema. Kanzler Karl Nehammer will die Koalition dennoch nicht vorzeitig beenden.
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler ist die längste Zeit ein Reibebaum für die Türkisen/Schwarzen. Nun eskalierte es. Wegen Gewesslers Zustimmung zum sogenannten EU-Renaturierungsgesetz gegen den Willen der Kanzlerpartei. Die Stimme Österreichs sorgt letztlich für das grüne Licht zum Gesetz auf EU-Ebene.
Nichtigkeitsklage ist juristisches Neuland
Diese Entwicklung hat mehrere interessante Aspekte: Die Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen die Ministerin zeigt die Intensität des Koalitionskollaps. Und eine Nichtigkeitsklage eines EU-Landes ist „juristisches Neuland“, wie Europarechts-Experte Walter Obwexer gegenüber der „Krone“ erörtert.
Die Volkspartei bringt nun eine Nichtigkeitsklage beim EuGH gegen die EU-Vorordnung ein und zeigt Gewessler wegen Amtsmissbrauchs an. Das sitzt, die Zweckehe ist de facto zerbrochen. Der Wahlkampf ist nicht nur eröffnet, sondern hat auch seinen ersten unrühmlichen Höhepunkt.
Oberwexer sieht Chancen für die Klage durchaus gegeben, zumal Bundeskanzler Karl Nehammer schon vor der Abstimmung beim belgischen Ratspräsidenten schriftlich festgehalten hatte, dass Ministerin Gewessler nicht für Österreich spreche und sie sich über „innenpolitische Willensbildung“ quasi hinwegsetze. Hintergrund sind die Streitereien unter den Bundesländern. Zunächst waren alle Länder gegen das Renaturierungsgesetz, zuletzt gab es Abweichler wie das mächtige Wien.
Wichtig in dem Zusammenhang sei auch, dass Gewesslers Ja letztlich eben das Gesetz ermöglichte. Eine besonders brisante Konstellation, wie auch der Jurist festhält. Eine Entscheidung über das Gesetz dürfte jedoch erst 2026 fallen.
Kanzler spricht von Vertrauensbruch, will aber „Chaos vermeiden“
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) fand deutliche Worte für den grünen Vorstoß: Es handle sich um Verfassungsbruch und eine „veritable Regierungskrise“. Die Ministerin wollte auch ein vorzeitiges Ende der Koalition vorerst nicht ausschließen. Bundeskanzler Nehammer, der in Brüssel weilt, erklärte am frühen Abend, dass er die Koalition nicht vorschnell beenden werde. Trotz eines „Rechtsbruches“ der Ministerin und eines „Vetrauensbruches“, wolle er weiteres „Chaos“ vermeiden.
Die aktuelle LH-Vorsitzende Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sprach von einem „Treppenwitz der Geschichte: Gewessler schließt im Alleingang einen Vertrag ab, den die Länder verantworten und bezahlen müssen. Gewessler selbst trägt kein Risiko und keine Verantwortung. Feiert sich selbst dafür aber als Heldin“.
Kogler kontert mit Brief
Sein Vizekanzler Werner Kogler konterte vorerst mit einem eigenen Brief an die belgische Ratspräsidentschaft. Unterfertigt auch von Parteifreundin Gewessler. Kogler bedauere, dass Belgien in die innerösterreichischen Konflikte involviert werde. Zudem seien die Anschuldigungen Nehammers jedenfalls rechtlich verfehlt. Der Kanzler habe in Österreich keine Richtlinienkompetenz, Gewessler sei also befugt gewesen, mit Ja zu stimmen.
„Macht euch das selber aus“
Eine ähnliche Reaktion erfuhr man aus Belgien auf Nehammers Vorstoß. Sinngemäß: Die Ministerin hat abgestimmt, was in Österreich passiert, macht euch bitte selber untereinander aus.
Experten analysieren
Doch was bedeutet diese Episode für die beteiligten Parteien? „Die Grünen konnten vor den Wahlen ihr Thema von Top-Priorität setzen. Und so ihre Klientel ansprechen. Es ist ein wichtiges Signal für die eigenen Wähler“, sagt Politologin Katrin Praprotnik. Für die Grünen bringe die Entscheidung daher ein überschaubares Risiko, selbst wenn die Regierung vorzeitig platzen sollte. Denn wichtig sei – vor allem so knapp vor den Wahlen – die eigene Bilanz beim Kernthema. Also Klima.
Ein Ende der Koalition wäre indes vor allem für die ÖVP ein gefährliches Spiel. Dann käme es zum Spiel der „freien Kräfte“. Und instabile Verhältnisse so knapp vor Wahlen wären eher kontraproduktiv.
Ab sofort gibt es Fouls und Revanchefouls. Vielleicht werden nach den Wahlen dann die gelben Karten verteilt.
Politikberater Peter Plaikner
Für Politikberater Peter Plaikner handelte es sich um eine „bewusste und strategische Aktion der Grünen“. Und um einen schlauen taktischen Zug. Zudem würde Leonore Gewessler an Profil gewinnen. „Wichtig vor allem, nachdem sie ja Ausgangspunkt war für die Causa Schilling. Gewessler war zu Beginn als Spitzenkandidatin vorgesehen, hat dann aber abgesagt. Erst so konnte letztlich Lena Schilling Spitzenkandidatin werden.“
Plaikner sieht in dieser aktuellen Episode eine Fortsetzung jüngerer Geschehnisse. Kogler widersprach neulich dem ÖVP-Diktum, wonach ein EU-Kommissar automatisch von der ÖVP sein müsse. Peter Plaikner: „Fest steht. Ab sofort gibt es Fouls und Revanchefouls. Vielleicht werden nach den Wahlen dann die gelben Karten verteilt.“
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