Streit kein Einzelfall

Chronologie der türkis-grünen Konflikte

Politik
19.06.2024 11:54

Der Streit um Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und das EU-Renaturierungsgesetz entfachte jüngst eine Regierungskrise. Es war jedoch nicht das erste Mal, dass Konflikte innerhalb der türkis-grünen Koalition öffentlich ausgetragen wurden. Die „Krone“ hat einen Überblick.

Die Regierungsbildung infolge der Nationalratswahl im September 2019 brachte erstmals eine Koalition der Volkspartei und der Grünen hervor. Vom „Besten aus beiden Welten“ sprach der damalige Regierungschef Sebastian Kurz (ÖVP) vor der Angelobung im Jänner 2020. Die aktuelle Situation offenbart jedoch erneut die tiefen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern, die von der Corona-Pandemie bis hin zum Klimaschutzgesetz reichen.

Corona-Pandemie
Während der Covid-19-Pandemie kam es immer wieder zu Diskussionen über den Umgang mit Sicherheitsmaßnahmen und Schulöffnungen. Die Grünen setzten sich für strenge Hygienemaßnahmen und vorsichtige Öffnungen ein. Die Volkspartei forderte ein rasches Vorgehen, um Bildungsdefizite und soziale Folgen für Kinder zu minimieren. Zentrale Figur in der Pandemie war der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Infolge der stark kritisierten Krisenkommunikation und der Aufhebung der Maßnahmen des ersten Lockdowns durch den Verfassungsgerichtshof begannen dessen Umfragewerte im Herbst 2020 deutlich zu sinken. Im April 2021 verkündete Anschober seinen Rücktritt aufgrund gesundheitlicher Probleme. Sein Nachfolger Wolfgang Mückstein agierte nicht gerade glücklich und trat nach nur elf Monaten wieder zurück.

Am Beginn hatte die Regierung fast ausschließlich mit Corona zu tun. (Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)
Am Beginn hatte die Regierung fast ausschließlich mit Corona zu tun.

Migrations- und Asylpolitik
Im Jänner 2021 wurden Abschiebungen von gut integrierten Schülern aus Armenien und Georgien durchgeführt. Das geschah unter massiven Protesten von Menschrechtsgruppen und Teilen der Öffentlichkeit. Der damalige Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) verteidigte das Vorgehen, wurde von den Grünen jedoch scharf dafür kritisiert. Vizekanzler Werner Kogler und Justizministerin Alma Zadic forderten öffentlichkeitswirksam eine humanere Migrationspolitik.

Korruptionsermittlungen
Die Staatsanwaltschaft führte im Oktober 2021 Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und in den Büros der ÖVP durch. Auslöser dafür waren die Vorwürfe, Kurz und sein Umfeld hätten öffentliche Gelder für parteipolitische Interessen missbraucht. Der Bundeskanzler und seine Volkspartei bestritten die Vorwürfe und sprachen von einer politisch motivierten Kampagne. Forderungen nach mehr Transparenz und der Wahrung der unabhängigen Justiz wurden laut. Diese Vorfälle führten zu einer ernsten Koalitionskrise, bei der die Grünen ihre Regierungsbeteiligung infrage stellten. Nach intensiven Verhandlungen einigten sich beide Parteien darauf, gemeinsam fortzufahren. Voraussetzung war, dass Kurz als Kanzler zurücktritt und Außenminister Alexander Schallenberg das Amt übernimmt. Ihm folgte bald Nehammer.

Kurz übergab Amt und Partei an Nehammer.  (Bild: APA/Erwin Scheriau)
Kurz übergab Amt und Partei an Nehammer. 

Steuerreform
Eine ambitionierte CO2-Bepreisung und Investitionen in den Klimaschutz lauteten die Bedingungen der Grünen für eine Steuerreform. Die Volkspartei unterstütze diese Forderungen, setzte sich jedoch zugleich für wirtschaftsfreundliche Ausgleichsmaßnahmen und Steuererleichterungen ein. Die Verhandlungen gestalteten sich schwierig und zogen sich bis in den Oktober 2021. Damals wurde die „ökosoziale Steuerreform“ finalisiert.

Lobautunnel
Der geplante Bau des Wiener Lobautunnels führte zu massiven Kontroversen. Die Volkspartei befand das Vorhaben als notwendig für die Verkehrsentlastung und die wirtschaftliche Entwicklung. Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler hingegen stoppte das Projekt im November 2021 mit der Begründung, es sei umweltschädlich und stehe nicht im Einklang mit den Klimazielen. Das führte zu einem massiven Konflikt mit den betroffenen Ländern Wien und Niederösterreich sowie der ÖVP.

Die Umweltministerin war ein Reibebaum für die ÖVP. (Bild: ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com)
Die Umweltministerin war ein Reibebaum für die ÖVP.

Justiz
Auch in der Debatte um eine Justizreform kommen ÖVP und Grüne auf keinen gemeinsamen Nenner. Um die Unabhängigkeit der Justiz zu fördern, soll die Justizministerin als Spitze der Weisungskette für Staatsanwälte ersetzt werden. In der Frage, wer diese Funktion übernehmen soll, sind sich die Parteien uneinig.

Klimaschutzgesetz
Seit mittlerweile mehr als drei Jahren gibt es in Österreich kein gültiges Klimaschutzgesetz. 2020 ist die alte Regelung ausgelaufen, über eine neue wird schon seit Beginn der Regierungszusammenarbeit verhandelt. Das Vorhaben, die angestrebte „Klimaneutralität bis 2040“ im Gesetz zu verankern, stand eigentlich im Regierungsprogramm, konnte bis dato aber nicht umgesetzt werden. Die Themen Klima- und Umweltschutz waren in der gesamten Legislaturperiode ein Dauerbrenner zwischen ÖVP und Grünen. Neben dem Klimaschutzgesetz sind am Ende des Tages auch das Elektrizitätswirtschaftsgesetz und das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz hängen geblieben. 

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