Arbeitsminister Martin Kocher berichtete der deutschen „Bild“-Zeitung, dass Österreich viel besser dastehe als der große Nachbar. „Ösis hängen die Ampel bei Pensionen und Energie ab“, titelte das Blatt am Donnerstag. Warum diese Behauptung einer näheren Betrachtung nicht standhält.
„Die Zeiten, in denen das kleine Österreich voller Bewunderung auf den Wirtschaftsgiganten Deutschland geblickt hat, sind lange vorbei“, schreibt die „Bild“ und zieht ausgerechnet das Pensionssystem, das „um Welten besser“ sein soll, und die Energieversorgung als Beispiele heran. Arbeits- und Wirtschaftsminister Kocher freut sich: „Wir haben ein vergleichsweise flexibles Pensionssystem, das gut funktioniert.“
Ein weiterer Punkt, den Kocher positiv hervorhob: die längerfristige Bleibeperspektive für Ukraine-Vertriebene. Im Vergleich zu Deutschland wurde diese in Österreich geschaffen und zwar im Rahmen der Rot-Weiß-Rot–Karte plus. „Damit haben die Geflüchteten eine stabile Perspektive, und auch die Betriebe müssen nicht mehr befürchten, dass sich der Aufenthaltsstatus der Beschäftigten plötzlich ändert“, sagt Minister Kocher im Interview. Schon jetzt sei die Beschäftigungsquote der vertriebenen Ukrainer laut „Bild“ in Österreich höher als in Deutschland.
Früher in Pension und mit mehr Geld
Die Zeitung verweist darauf, dass Österreichs Männer im Schnitt mit 62,1 Jahren in den Ruhestand gingen und 14-mal im Jahr im Schnitt 1856,08 Euro erhielten, Frauen mit 60 in Ruhestand gingen und im Schnitt 1310,74 Euro bekämen. Die deutsche Durchschnittsrente dagegen liege bei 1332 Euro für Männer und bei 1118 Euro für Frauen – bei nur zwölf Auszahlungen im Jahr.
Im Vorjahr arbeiteten Männer und Frauen, die mit der regulären Altersrente aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, im Schnitt bis 65,3 (Frauen 65,4) Jahre, so die „Bild“. „Die Österreicher arbeiten bis zu fünf Jahre kürzer als wir – und kriegen dennoch mehr raus“, lautet das Resümee.
Staatlicher Zuschuss steigt jedes Jahr
Unerwähnt bleibt in dem Bericht allerdings, dass das österreichische System nur mit sehr viel Steuergeld am Leben erhalten wird. Die öffentliche Hand muss heuer 14 Milliarden (!) Euro zuschießen. PVA-Generaldirektor Winfrid Pinggera warnt immer wieder, dass das System irgendwann zu teuer wird, und fordert Maßnahmen, mit denen das tatsächliche Antrittsalter dem gesetzlichen näherkommt.
NEOS schütteln den Kopf
Der NEOS-Abgeordnete Gerald Loacker, der seit Jahren das heimische System kritisiert, wundert sich über Kochers Auftritt: „Jede internationale Organisation fordert Österreich zu Reformen im Pensionssystem auf: OECD, IWF und die EU-Kommission. Der Minister dürfte auch den jüngsten Bericht des Rechnungshofs verpasst und die mahnenden Worte von Fiskalratchef Christoph Badelt überhört haben.“
Fiskalratspräsident Badelt hatte erst am Mittwoch ein düsteres Bild von Österreichs Budget gezeichnet und unter anderem die explodierenden Pensionskosten kritisiert. Für das Jahr 2024 erwartet der Fiskalrat ein Defizit von 3,4 Prozent des BIP, bis 2028 werde es nicht unter die Maastricht-Grenze von drei Prozent fallen.
„Nächste Regierung wird nicht um Sparpaket umhinkommen“
Badelt ortet eine Strategielosigkeit bei Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). „Mich hat es sehr gewundert, dass man so etwas nach Brüssel meldet“, so der Fiskalratspräsident. Die nächste Regierung werde mit einem Sparpaket starten und um Steuererhöhungen nicht umhinkommen, meinte er.
Ausgerechnet Energiesektor als Positivbeispiel
Auch das zweite Beispiel für Österreichs angebliche Vorbildwirkung ist fragwürdig. In dem Bericht werden die vergleichsweise niedrigen Strompreise gelobt, aber mit keiner Silbe erwähnt, dass kein anderes Land in Europa so abhängig vom russischen Gas ist und nach fast zweieinhalb Jahren Krieg noch immer fast 100 Prozent russisches Gas bezieht.
Kocher: „Der vergleichsweise hohe Anteil von erneuerbaren Energien an der österreichischen Stromproduktion ist sicher ein strategischer Vorteil gegenüber Deutschland.“
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