Rund 59.000 Fans feierten die australischen Kultrocker AC/DC am Sonntagabend im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Am Mittwoch gibt es ein Dacapo für Angus Young und Co. – dann neben der Bombenstimmung hoffentlich auch mit einem erträglichen Sound zu den kultigen Top-Hits.
Wien als Nabel der Welt. Viel öfter Wunschdenken, manchmal aber doch mit einem Hauch von Realität. Sonntagabend war etwa so ein Moment, wo in einer Entfernung von etwa zwei Kilometern Luftlinie zwischen Ernst-Happel-Stadion und Donauinsel knapp 140.000 Fans zwei der größten Konzerte des Jahres feierten. Rund 80.000 davon sollen sich bei den Austropop-Heroen Wanda auf der Donauinsel eingefunden haben, die anderen etwa 59.000 im Happel-Stadion bei den australischen Rock-Legenden AC/DC. Letztere hoben rund 150 Euro aufwärts für ihr erstes von zwei Stelldicheins ein, während das renommierte Donauinselfest traditionell gratis über die Bühne geht. Sie sehen also, der Vergleich hinkt in mehrfacher Hinsicht – außer bei der Tatsache, dass sich zwei absolute Publikumslieblinge und Kapazunder in absolut guter Absicht fernduellierten.
Sturheit als Trumpf
Die australischen Rocker sind schon seit einem knappen Monat in Europa unterwegs und auf ihrer „Power Up“-Tour, der ersten großen seit acht Jahren, bereits in beachtlicher Form. Das wissen auch die AC/DC-Die-Hard-Fans zu goutieren, die für ihre Lieblinge gerne 100 Euro für ein AC/DC-Fußballdress oder 20 Euro für blinkende Teufelshörner hinlegen. Der Rubel muss im Karrierefrühwinter noch einmal kräftig rollen. Dass die Australier überhaupt noch auf der Bühne stehen, ist dem sturen Bandchef Angus Young zu verdanken. Den mittlerweile 76-jährigen Frontmann Brian Johnson hat man mittels eigens entwickelten Hörgeräts vor der drohenden Invalidenpension bewahrt und Angus‘ Neffe Stevie Young firmiert seit zehn Jahren als Live-Gitarrist und Ersatz für den verstorbenen Malcolm. Die beiden restlichen Herren sind noch weitgehend unbekannt.
Drummer Phil Rudd, der seine Drogen- und Spielprobleme nach schwierigen Jahren in den Griff bekam, wird vom bekannten US-Session-Drummer Matt Laug ersetzt, weil er seine Frau im Kampf gegen Brustkrebs unterstützt. Bassist Cliff Williams kündigte schon vor der Pandemie seine Live-Pension an und hielt Wort. Ersatzmann Christopher Chaney reüssierte bei Jane’s Addiction und zupft den Viersaiter auch am Hard-Rock-Parkett würdig, wirkt als brav gescheitelter Grunge-Abkömmling aber zumindest optisch fehlbesetzt. Das Rhythmusfundament werkt bei AC/DC aber traditionell nur im Hintergrund. Auf dem sanften Steg dürfen nur die zwei alten Hasen stolzieren. Johnson, wie gewohnt ganz in Schwarz und mit Schiebermütze. Angus Young hat sich für die erste von zwei Wien-Shows die rote Schuluniform ausgesucht und kombiniert die erprobte Mode mit mittlerweile schlohweißem Haar.
Schweißnass und retrospektiv
Doch die Optik soll nicht über die unbändige Energie des ewig jungen Top-Gitarristen hinwegtäuschen. Er springt, läuft und tänzelt die Bühne von links nach rechts nach vorne nach hinten ab und entledigt sich auch ohne hitziger Pyroeffekte zuerst seinem Sakko, dann seiner Mütze und schlussendlich der rotweißen Krawatte, bis die schweißnasse Altherrenbrust offen vom absoluten Einsatz zeugt, der hier gegeben wird. Mit „Demon Fire“ und „Shot In The Dark“ schaffen es nur zwei Songs des immer noch aktuellen, 2020 veröffentlichten Albums „Power Up“ in die Setlist, was angesichts seiner Stärke schade ist. Aber was soll man denn auch tun, wenn man 51 Jahre voller Top-Hits im Köcher hat und nach zwei Stunden auch mal Schluss sein sollte? Vom fulminanten Opener „If You Want Blood (You’ve Got It)“ über das kultige „Back In Black“ bis zum Kracher „Shot Down In Flames“ greift man zur Freude der Fans in die Retro-Kiste – und da sind noch keine 20 Minuten Konzert vergangen.
Mittendrin statt nur dabei sind zu dieser Zeit auch ÖSV-Asse wie Michael Matt oder Adrian Pertl samt Betreuerstab. Der mit Kreuzbandriss lange außer Gefecht gesetzte Marco Schwarz hatte sein Kommen auch angekündigt, blieb aber länger im Stau stecken. Darauf nimmt der „Rock’n’Roll Train“ natürlich keine Rücksicht, es wäre auch grob fahrlässig. Die Highlights feuern theoretisch im Stakkato-Takt aus den turmhohen Marshall-Wänden auf der Bühne. Bei „Thunderstruck“ reißt es auch die letzten Sitzer hoch und Angus wird via Videowall-Effekte Strom durch den Körper gejagt. Das unterschätzte „Stiff Upper Lip“ entpuppt sich als wuchtiger Stampfer und „Sin City“ funktioniert als Abbremsmanöver wesentlich besser als das viele Jahre im Set gehaltene „The Jack“. Theoretisch deshalb, weil in der Praxis der Sound nervt. Bei den Stehplätzen klingt das Konzert übersteuert und matschig, auf den Sitzplatzrängen hört man etwas mehr Nuancen, zufriedenstellend ist aber anders.
Blindes Mitfreuen
Ärgerlich nicht nur ob der massiven Ticketpreise, sondern auch, weil man Johnsons durchaus gute Stimme meist nicht hört. Für sein stattliches Alter ist er noch in passabler Form, auch wenn er bei Songs wie „High Voltage“ aus der Spur gerät und die Band manchmal zurückhelfen muss. Seine bloße Anwesenheit auf dieser Tour ist als physikalisches Wunder zu betrachten. Je später der Abend wird, umso eindrucksvoller blinken die Hörner, umso kompromissloser rocken die Australier. Das famose „Powerage“-Juwel „Riff Raff“ und „Whole Lotta Rosie“ gehen besonders tief in die Knochen, beim unvermeidlichen „Highway To Hell“ wird auch das Bühnen-Feuer entzündet und Angus werden – wortwörtlich – Hörner aufgesetzt. Die besten Momente bei AC/DC sind aber nicht pyrotechnischer, sondern musikalischer Natur. Zwei Beispiele: Das immens treibende „Shoot To Thrill“, das ein Höhepunkt des Abends ist und Angus‘ ca. 25-minütiges Gitarrensolo nach „Let There Be Rock“, bei dem der 69-Jährige sich so passioniert in sein Arbeitsgerät verbeißt, dass man sich blind mit ihm mitfreut.
Etwas mehr als zwei Stunden drückt die Kultband unaufhörlich aufs Gaspedal und beweist auch im gesetzten Alter, dass der Rock’n’Roll kein Ablaufdatum kennt. Wenn man vom grässlichen Sound absieht, sind AC/DC anno 2024 noch immer ein Lehrbeispiel für die feurigste Rockband des Planeten. Die „Hells Bells“ mag mittlerweile schon lauter erklingen, solange dieses runderneuerte Gespann aber selbst den unsterblichen Teufel markiert, braucht man sich vor dem metaphorischen nicht zu fürchten. Eine amtliche Vorstellung liefern vor AC/DC auch die US-Rocker von The Pretty Reckless ab. Mit lässiger Attitüde und viel Rock-Gestus der alten Schule überzeugt die Band rund um Frontfrau Taylor Momsen - einst „Gossip Girl“, seit zwölf Jahren aber Vollblutmusikerin. Eine ganze Stunde Zeit wird ihnen für Songs wie „Follow Me Down“, „Witches Burn“ oder „Make Me Wanna Die“ gewährt, im Segment der A-Stadionbands auch keine Selbstverständlichkeit. Der durchaus laute Höflichkeitsapplaus ist verdient.
Runde zwei am Mittwoch
Noch ein zweites Mal geben sich AC/DC und The Pretty Reckless in Wien die Ehre. Am Mittwoch, dem 26. Juni, gibt es ein Dacapo mit den dann wieder ausgeruhten Superrockern. Auf Überraschungen in der Setlist sollte man sich eher nicht einstellen, auf einen besseren Sound und unbändige Spielfreude darf aber zumindest gehofft werden. Karten sind für das Stadion-Highlight aber leider keine mehr verfügbar.
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