Fußball-EM

Was von Österreichs „Sommermärchen“ übrig bleibt

Fußball EM
03.07.2024 20:25

Das „Sommermärchen“ des österreichischen Nationalteams ist zu Ende, bevor es so richtig beginnen hat können. Das 1:2 im EM-Achtelfinale am Dienstag in Leipzig gegen die Türkei geht als eine der schmerzvollsten Niederlagen in die ÖFB-Geschichte ein – zumal in der aktuellen Konstellation in Deutschland sehr viel mehr möglich gewesen wäre. Und dennoch ist nicht alles schlecht ...

Ralf Rangnick und sein Team konnten Österreich den Glauben an sich selbst als Fußball-Nation wiedergeben. Das ÖFB-Team bewies, mit seinem körperbetonten, auf schnellen Ballgewinnen fußenden Spielstil mit jedem Top-Gegner mithalten zu können. Nach dem Gruppensieg vor Frankreich, den Niederlanden und Polen herrschte eine Woche Hochstimmung. Den in den Himmel geschossenen Erwartungen wurde die Rangnick-Auswahl im ersten K.-o.-Spiel dann aber nicht mehr gerecht. Auch internationale Medien hatten die Österreicher plötzlich zu den Geheim- oder gar Mitfavoriten auf den EM-Titel gezählt.

Ralf Rangnick (Bild: AFP)
Ralf Rangnick

„Technisch sind wir noch nicht perfekt!“
Rangnick wird seinem Stil mit hohem Pressing treu bleiben. Viele seiner Kicker haben ihn längst verinnerlicht, sind sie doch in der von ihm begründeten Red-Bull-Schule groß geworden. Den Vergleich mit den Automatismen einer Klub-Mannschaft hält Rangnick für zulässig. „Technisch sind wir noch nicht perfekt“, meinte der Teamchef. Seine Mannschaft hätte sich aber in den zwei Jahren seiner Amtszeit auch in Ballbesitz enorm weiterentwickelt.

ÖFB-Team wirkte seinen Gegnern physisch überlegen
Das ÖFB-Team verzeichnete bis zum Achtelfinale nicht nur die meisten Fouls (61) und Ballgewinne (179), es wirkte seinen Gegnern phasenweise auch physisch überlegen. Das könnte mit der Frische zu tun haben: Im Vergleich zu den Gruppengegnern Frankreich und Niederlande waren Österreichs Topspieler im Saisonverlauf deutlich weniger belastet. Die meisten Pflichtspiel-Einsätze für ihre Klubs verzeichneten Alexander Prass bei Sturm Graz (47) und Konrad Laimer, unter dessen 43 Partien für Bayern München aber auch viele Kurzeinsätze waren.

Konrad Laimer (Bild: GEPA/GEPA pictures)
Konrad Laimer

Österreicher ersparten sich jegliche Reisestrapazen
Bei internationalen Topklubs sind 50 und mehr Saisonpartien keine Seltenheit. Die ÖFB-Asse strotzten im Gegensatz zu Kylian Mbappe und Co. am Ende einer langen Saison noch vor Energie. Dazu trug wohl auch das sehr gut gewählte EM-Quartier bei. Zu den beiden Gruppenspielen in Berlin fuhren die Österreicher jeweils 20 Minuten mit dem Bus, ersparten sich jegliche Reisestrapazen – und gewannen sowohl das Schlüsselspiel gegen Polen (3:1) als auch gegen die Niederlande (3:2).

Vor der Partie gegen „Oranje“ standen beide Teams bereits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Achtelfinale. Es ging nur noch um die Gruppenpositionen und den weiteren Turnierbaum. Österreichs Erfolg mit einer Startelf, in der mehrere Stammspieler wegen Gelber Karten geschont wurden, wurde von nicht wenigen Fans gefeiert, als wäre man fast schon Europameister.

(Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)

„Freundschaftsspiele“ gibt es unter Rangnick nicht
So etwas wie „Freundschaftsspiele“ gibt es unter Rangnick ohnehin nicht. 2022 wurde der damalige Europameister Italien, ein Jahr später auch EM-Gastgeber Deutschland in Wien mit 2:0 abgefertigt. Nicht zuletzt die Italiener jammerten über die für einen Test ihrer Meinung nach viel zu harte Gangart der Hausherren. Von acht ÖFB-Testspielen der Ära Rangnick ging keines verloren, in Bewerbspartien dagegen setzte es bei neun Siegen und zwei Remis bisher auch sieben Niederlagen.

Gegner im zweiten Anlauf besser auf das ÖFB-Team eingestellt
Es scheint so, als würden sich die Gegner im zweiten Anlauf besser auf das ÖFB-Team einstellen. Es geht die Meinung um, dass man Österreich einmal spüren müsse, um dem ausgeübten Druck und dem „Durch-den-Mann-Verteidigen“ gewachsen zu sein. Videos allein dürften da nicht reichen. Die nackten Zahlen: In der Ära Rangnick war das ÖFB-Ergebnis im jeweils zweiten Duell nur gegen Estland (2:0 nach 2:1) besser als im ersten.

(Bild: AFP)

Einem Sieg gegen Kroatien folgte in der Nations League eine Niederlage, nach einem Remis gegen Frankreich verlor man gegen die „Bleus“ mittlerweile zweimal. Auch gegen Belgien gab es in der EM-Quali nach einem 1:1 auswärts daheim ein 2:3. Der Höhepunkt: Für einen 6:1-Kantersieg in einem Test im März in Wien revanchierten sich die Türken im EM-Achtelfinale auf deutlich größerer Bühne.

Ein Problem der ÖFB-Auswahl ist die mangelnde Kadertiefe
Das Duell mit der Nummer 42 der FIFA-Weltrangliste – Österreich ist 25. – offenbarte auch andere Probleme der ÖFB-Auswahl. Eines davon ist die mangelnde Kadertiefe. Das Fehlen des gesperrten Patrick Wimmer etwa wirkte sich dermaßen aus, dass Rangnick keinen dynamischen, schnellen Offensivmann mit ausreichend Tiefgang mehr einwechseln konnte. Stattdessen kam mit Michael Gregoritsch ein zweiter Stürmer neben Marko Arnautovic.

(Bild: GEPA)

Baumgartner ist Um und Auf in österreichischer Offensive
Sollte Arnautovic seine Karriere im Nationalteam nach 116 Länderspielen tatsächlich beenden, wäre Gregoritsch im Sturmzentrum allein auf weiter Flur. Viel hängt am 30-Jährigen vom SC Freiburg. Viel mehr noch hing bei der EM an Christoph Baumgartner. Der 24-Jährige ist das Um und Auf in der österreichischen Offensive, dabei ist er bei seinem Klub RB Leipzig noch nicht einmal Stammspieler. Marcel Sabitzers EM war nach einer starken Saison bei Borussia Dortmund von Aufs und Abs geprägt. Beim Aus gegen die Türkei blieb der mit neuer Cornrow-Frisur aufgetretene Mittelfeldmann hinter den Erwartungen.

Die Enttäuschung war bei allen Beteiligten groß. Es besteht aber Hoffnung, dass sie aufgefangen wird. Der in der Mannschaft entstandene Teamgeist ist etwas Bleibendes. Rangnick hat es geschafft, dass sich alle 26 Spieler im EM-Kader – auch diejenigen, die nicht zum Einsatz kamen – wertgeschätzt fühlten. Für den Anlauf auf die WM 2026 wird es mit Ausnahme des möglichen Arnautovic-Abschiedes keinen großen Umbruch geben. Mit den verletzten David Alaba und Xaver Schlager könnten stattdessen zwei weitere Leistungsträger wieder zur Verfügung stehen.

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(Bild: KMM)



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